Freitag, 26. Dezember 2008

Kernwaffen und Zukunft

Es gibt immer noch Tausende von Kernwaffen

Es gibt jetzt ungefähr 25 000 Kernsprengköpfe auf der Erde, die meisten von ihnen sind im Besitz Russlands und der USA. Um eine Vorstellung von ihrem Gefahrenpotential zu gewinnen, sollte man sich das schlimmste Szenario vorstellen, auch wenn es äußerst unwahrscheinliche ist: Würden alle vorhandenen Kernwaffen eingesetzt, so könnten alle größeren Städte zerstört und den Rest der Erde könnte durch Strahlungen, nuklearen Niederschlag und Klimaveränderungen so geschädigt werden, dass der Fortbestand jeder Zivilisation und sogar das Überleben der menschlichen Species zweifelhaft wäre. Jede einzelne dieser Waffen könnte eine mittelgroße Stadt zerstören und ihr Gebiet für einige Zeit unbewohnbar machen.

Und doch ist die Furcht vor diesen Waffen, jedenfalls in Europa, geschwunden. Tatsächlich hat sich die Lage für uns nach dem Ende des Kalten Krieges sehr verbessert. Schon unter Gorbatschow hatte die Sowjetunion aufgehört, eine Bedrohung zu sein. Die mittel- und osteuropäischen Staaten gewannen ihre Freiheit, die DDR konnte sich mit der Bundesrepublik vereinigen. Schließlich zerfiel die Sowjetunion. Ihr Kernland – Russland – erbte zwar ihre Kernwaffen und ihren Großmachstatus, hatte aber viele Jahre mit schweren inneren Problemen zu kämpfen und zeigte lange Zeit keine Neigung, den verlorenen Machtbereich wiederzugewinnen, wenn es auch den Raum der früheren Sowjetunion als Einflußzone behalten will. Die Gefahr, unter der vor allem Deutschland jahrzehntelang gelebt hat, ist fast vergessen Unser Überleben hing davon ab, dass die Abschreckung wirksam war und blieb. Diesem Ziel sollten auch die Mittelstreckenwaffen dienen, die ab 1984 in Deutschland und einigen anderen NATO-Staaten stationiert wurden, bis es 1988 gelang, sich auf die Abschaffung aller amerikanischen und sowjetischen Mittelstreckenwaffen zu einigen.

Die mit Kernwaffen verbundenen Gefahren sind nicht verschwunden, sie haben sich nur geändert. Zwar wurde die Zahl der nuklearen Sprengköpfe, verglichen mit dem Höhepunkt des Kalten Krieges, auf etwa ein Drittel vermindert. Aber die Zahl der Staaten, die sie besitzen, hat sich vermehrt und droht weiter zu wachsen. Das bedeutet, dass auch die Zahl der Konflikte gewachsen ist, in denen sie eingesetzt werden könnten. Gleichzeitig hat sich die Gefahr eines irrtümlichen Einsatzes erhöht. Vor allem aber ist die Gefahr gewachsen, dass Kernwaffen in die Hände gewaltbereiter nichtstaatlicher Gruppen fallen könnten. Ihnen gegenüber ist die Abschreckung nicht wirksam. Sie bieten kein Ziel für die Vergeltung. Auch lassen sich Menschen nicht abschrecken, die bereit sind, Terrorakte unter Opferung ihres eigenen Lebens auszuführen.

Vier weise und erfahrene Amerikaner haben nun dazu aufgerufen, auf eine Welt ohne Kernwaffen hinzuarbeiten. Im Januar haben vier prominente und kenntnisreiche Deutsche, Helmut Schmidt, Richard von Weizsäcker, Egon Bahr und Hans-Dietrich Genscher diesen Aufruf unterstützt. Am 8. Dezember 2008 wurde in Paris die Initiative „Global Zero“ bekannt gegeben.

Die große Idee einer Welt ohne Kernwaffen hat in Deutschland bisher zu wenig Aufmerksamkeit und Unterstützung in der Öffentlichkeit gefunden. Um sie würdigen zu können, müssen wir uns an die bisherige Entwicklung erinnern und den Wendepunkt ins Auge fassen, an dem wir jetzt stehen.

Die gefährlichsten Waffen, die es gibt

Kernwaffen sind auch heute, mehr als sechzig Jahre nach ihrem ersten – und bisher einzigen – Einsatz, noch die gefährlichsten Waffen, die es gibt. Die Sprengkraft der Bombe, die über Hiroshima abgeworfen wurde, entsprach der Kraft von 15 000 t konventionellen Sprengstoffs. Wenige Monate vorher, am 14. Februar 1945, waren auf Dresden 1472 t Spreng- und 1202 t Brandbomben abgeworfen worden. Das Zentrum der Stadt war zerstört, 35 000 Menschen waren getötet worden. Für die Zerstörung Hiroshimas aber genügte eine einzige Atombombe, die Zahl der Opfer betrug – wenn man die Menschen einbezieht, die später durch Strahlenkrankheit starben – mindestens 180 000.

Eine in den folgenden Jahren entwickelte neue Art von Kernwaffen, die Wasserstoffbomben, besitzt eine Sprengkraft, die tausendfach größer ist. Eine einzige Bombe dieser Art könnte Riesenstädte wie New York, Moskau oder Peking, vernichten. Bei allen Kernwaffen kommt die Strahlenwirkung hinzu: Sie kann Menschen entweder sofort töten oder eine Strahlenkrankheit hervorrufen, die ebenfalls zu einem qualvollen Tod führen kann. Bei noch mehr Menschen ist die Schädigung des Erbgutes zu erwarten.

Einige der Gefahren von Nuklearwaffen für die Atmosphäre sind seit langem bekannt, andere werden jetzt erforscht. Würden Kernwaffen in größerer Zahl in Erdnähe eingesetzt, so würde Erdreich in solcher Menge in die Atmosphäre geschleudert, dass die Sonneneinstrahlung auf große Teile der Erdoberfläche monatelang verhindert würde. Dort würden winterliche Temperaturen herrschen, das Pflanzenwachstum würde unterbrochen werden. Würden Kernwaffen dagegen in größerer Höhe gezündet, so könnte die empfindliche Ozonschicht beschädigt werden. Wird sie ganz oder teilweise zerstört, so drohen Gesundheitsschäden durch die ultravioletten Strahlen, die von ihr ausgefiltert werden.

Das Gleichgewicht des Schreckens

Es ist bemerkenswert, dass nach Hiroshima und Nagasaki keine Kernwaffen mehr eingesetzt wurden. Der Grund dafür ist die Scheu vor den schrecklichen Wirkungen dieser Waffen und die Furcht, dass sich aus jedem Einsatz ein mit Kernwaffen geführter Krieg entwickeln könnte. Ronald Reagan prägte dafür den Satz: Ein Nuklearkrieg kann nicht gewonnen und darf niemals geführt werden. Von diese4m Grundsatz ging auch die Strategie der Abschreckung aus, die wesentlich dazu beigetragen haben dürfte, Kriege zwischen den beiden Supermächten zu verhindern. Aber sie beruht auf einem Dilemma: Beide Mächte drohen mit einer Vergeltung, die nicht nur zu ihrer eigenen Vernichtung, sondern auch zur Tötung von Unbeteiligten und Umweltschäden führen konnte. Ist dies zu rechtfertigen? Es gibt viele Bedenken dagegen.

Gebremste Verbreitung

Die USA, wo die ersten Kernwaffen entwickelt wurden, und die Sowjetunion, die bald folgte, blieben nicht die einzigen Kernwaffenbesitzer. Großbritannien, Frankreich und China kamen dazu. Für die beiden europäischen Staaten war die Erhaltung ihres Status nach dem Verlust der Kolonialreiche das entscheidende Motiv. Für ihre Sicherheit war allerdings die Beistandsverpflichtung der USA nach dem Nordatlantik-Vertrag viel wichtiger. China dagegen wollte sich dem Anspruch der Sowjetunion entziehen, die Führungsmacht des „sozialistischen Lagers“ zu sein und wollte deshalb in der Lage sein, seine Sicherheit selbst zu schützen – auch gegen die Sowjetunion.

Viele Staaten, auch unter den Nichtbesitzern, betrachteten eine noch weitere Verbreitung der Kernwaffen als gefährlich. 1967 wurde deshalb der Nichtverbreitungsvertrag geschlossen, der die genannte fünf Staaten als Kernwaffenstaaten anerkannte. Sie verpflichteten sich, in redlicher Absicht Verhandlungen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens und zur nuklearen Abrüstung zu führen. Die friedlich Nutzung der Kernenergie wird auch den Nichtbesitzern nicht verwehrt. Sie haben jedoch Sicherungsmaßnahmen hinzunehmen, die dazu dienen, zivile und militärische Nutzung zu unterscheiden.

Mehrere Staaten lehnten den Vertrag ab: Indien war der Hauptkritiker: Dies sei ein ungleicher und ungerechter Vertrag. Wie zu erwarten, schloss sich Pakistan dieser Haltung an. Auch Israel blieb dem Vertrag fern und entwickelte – ohne sich öffentlich dazu zu bekennen – eigene Kernwaffen, die offensichtlich der Abschreckung seiner numerisch überlegenen Nachbarn dienen sollten. Trotzdem griffen Ägypten und Syrien 1973 an. Israel wehrte den Angriff mit ausschließlich konventionellen Kräften ab. Während Indien unter den von der Kongress-Partei geführten Regierungen – abgesehen von einer als friedlich bezeichneten Kernexplosion 1974 – sich nach außen darauf beschränkte, die Kernwaffen-Staaten zur Abrüstung aufzufordern, entschied eine von der hindu-nationalistischen Partei BJP geführte Regierung, öffentlich den Schritt zu eigenen Kernwaffen zu tun: 1998 wurden die Waffen erfolgreich erprobt. Pakistan folgte sofort nach dem schon bekannten Muster. Es hatte schon unter der Leitung von Abdul Qadir Khan die Entwicklung eigener Kernwaffen von langer Hand vorbereitet. Qadir Khan hatte – angeblich ohne Kenntnis seiner Regierung – technisches Wissen und Material an mehrere Länder weitergegeben. Wie viel davon an Organisationen außerhalb der Regierungen gelangt ist, bleibt eine offene Frage.

Indien und Pakistan haben seit ihrer Trennung mehrere Kriege gegeneinander geführt. Der Kaschmir-Konflikt bleibt ungelöst. Nach dem Terror-Anschlag in Mumbai hat Indien ziemlich unverhüllt mit militärischen Maßnahmen gegen Pakistan gedroht. Unklar ist, wie im Verhältnis zwischen zwei Staaten, die so eng benachbart sind und über Raketen verfügen, die Abschreckung mit Kernwaffen funktionieren soll. Gibt es nicht die Versuchung, im Fall einer Krise die Kernwaffen als erster einzusetzen, bevor sie der Gegner vernichten kann (use them or lose them)? Für das Krisenmanagement steht sehr wenig Zeit zur Verfügung. Im Falle eines Raketenabschusses aus Versehen oder bei Missdeutung eines Raketen-Abschusses ist eine rechtzeitige Warnung (wie sie im Verhältnis zwischen USA und Sowjetunion praktiziert wurde) kaum möglich. Würde im Falle eines Krieges die Seite, die zu verlieren droht, doch zu Kernwaffen greifen? Auch dies sind offene Fragen.

Irak wurde nach dem Krieg von 1991 gezwungen, sein Kernwaffen-Programm einzustellen und sich genauen Inspektionen zu unterwerfen. Die Intervention von 2003 wurde mit dem Verdacht begründet, Irak habe sich trotzdem Kernwaffen verschafft. Dafür wurden aber nach der Intervention keine Anhaltspunkte gefunden. Die Inspektionen waren wirksamer gewesen, als die USA hatten glauben wollen.

Iran, das in früheren Jahren ebenfalls an der Entwicklung von Kernwaffen gearbeitet zu haben scheint, steht nun im Verdacht, die Anreicherung von Uran, die es derzeit betreibt, zur Gewinnung von nuklearfähigem Material nutzen zu wollen. Durch Sanktionen soll es gezwungen werden, sich einer strengeren Überwachung zu unterwerfen. Darüber wird verhandelt. Sollte es Iran tatsächlich gelingen, Kernwaffen zu erwerben, so ist zu befürchten, dass andere Staaten der Region – sei es zu ihrer Sicherheit, sei es aus Prestige-Gründen – versuchen würden, den gleichen Weg zu beschreiten. Einige mögen schon begonnen haben, sich darauf vorzubereiten. Die Lage in Nah- und Mittelost, einer von Konflikten durchzogenen Region, könnte dadurch noch instabiler, ja explosiv werden.

In Ostasien, wo China lange Zeit die einzige Atommacht war, hat Nordkorea 2003 seinen Austritt aus dem Nichtverbreitungs-Vertag erklärt und 2004 eine Kernexplosion unternommen. Zusagen, die es in Verhandlungen gemacht hatte, wurden oft nicht eingehalten. Würden die Verhandlungen scheitern, so müsste man damit rechnen, dass andere Staaten der Region ebenfalls Kernwaffen erwerben würden. Südkorea, Japan und Taiwan könnten dies theoretisch in wenigen Monaten erreichen. China aber würde sein Möglichstes tun, um dies zu verhindern.

Die Dynamik der technischen Entwicklung

Kernwaffen sind, wie wir gesehen haben, zu Instrumenten der Abschreckung geworden. Aber sie könnten auch für andere Zwecke verwendet werden. In den USA wurde überlegt, Kernwaffen zu entwickeln, die unter der Erdoberfläche wirken und z. B. Waffen vernichten oder Höhlen zerstören könnten, in denen Terroristen Zuflucht gesucht habe. Der Kongress hat sich bisher geweigert, Mittel für die Entwicklung solcher Waffen zu bewilligen.

Aber seit der Amtszeit von Präsident Reagan werden Jahr für Jahr Milliarden von Dollars für die Entwicklung von Raketenabwehr-Systemen ausgegeben. Reagan hatte ein solches Programm (Strategic Defence Initiative) 1984 in Gang gebracht. Er hatte gehofft, eine zuverlässige Abwehr von Raketen würde es möglich machen, auf die Drohung mit einem Gegenschlag zu verzichten. Damit würden Kernwaffen ihren Sinn verlieren und obsolet werden. Wie immer diese Idee entstanden ist: Viele unabhängige Wissenschaftler hielten sie von Anfang an für eine Illusion. In der Tat ist es bisher nicht gelungen, Systeme zu entwickeln, mit denen man das Territorium eines großen Staates zuverlässig gegen Raketen schützen könnte. Bisher sind nur Systeme mit begrenzter Wirkung geplant. Die wirtschaftlichen Interessen der beteiligten Unternehmen bilden eine starke Triebkraft hinter diesem Projekt. Es zeigt sich aber bereits, dass in einer auf Abschreckung gerichteten Strategie Abwehrwaffen bei der Gegenseite eine Verbesserung und Vermehrung der Angriffswaffen auslösen. Gerade um dieses Dilemma zu vermeiden, hatten USA und Sowjetunion 1972 im ABM-Vertrag eine Beschränkung der Abwehrsysteme vereinbart, den Präsident Bush aber 2002 gekündigt hat.

Der wachsende Energiebedarf und die drohende Verknappung von herkömmlichen Energiequellen führen dazu, dass mehr Länder den Bau von Atomkraftwerken erwägen, die außerdem zur Verminderung der CO2-Emissionen beitragen. Aber die Mauer, die zivile und militärische Nutzung voneinander trennt, wird immer dünner. Nur die Technik der Abscheidung des Plutoniums und der Anreicherung des Urans ist noch nicht allgemein verfügbar. Man könnte die militärische Nutzung der Kernenergie auf die Dauer nur dadurch wirksam verhindern, dass man die Herstellung und Verteilung der Kernbrennstoffe internationalisiert. Das würde den Spielraum für die Nicht-Besitzer von Kernwaffen weiter einengen. Es ist sehr fraglich, ob sie dazu bereit wären. Vielen von ihnen scheint schon jetzt die Diskriminierung gegenüber den Kernwaffenstaaten immer weniger als hinnehmbar.

Je weiter sich die Kerntechnik ausbreitet, umso größer wird auch das Risiko, dass kleine Mengen von angereichertem Uran oder Plutonium abgezweigt werden und in die Hände von Terroristen geraten. Zur Herstellung einer „schmutzigen Bombe“ braucht man nicht viel davon. Für ihren Einsatz gibt es viele Möglichkeiten. Sie müssen ja nicht genau gezielt werden. Ein Lastwagen oder ein See-Container genügen, um sie an Orte zu bringen, wo sie viele Menschen töten und großen Schaden anrichten können.

Am Wendepunkt

Angesichts der neuen Gefahren muss man sich nun zwischen zwei Wegen entscheiden:
- Man kann versuchen, an dem gegenwärtigen Regime der Nichtverbreitung festzuhalten und Kernwaffen weiterhin als Instrumente der Abschreckung zu benützen
- Oder man kann eine neue Richtung einschlagen mit dem Ziel, alle Kernwaffen abzuschaffen.

Die Risiken des ersten Weges, der im wesentlichen eine Fortsetzung des bisherigen Kurses ist, sind schon beschrieben worden. Die Erosion des Nichtverbreitungs-Vertrages hat bereits begonnen. Daraus könnte sich eine Kettenreaktion entwickeln, die in Regionen wie Nah- und Mittelost, Süd- und Ostasien zu gefährlichen Situationen führen könnte. Entwicklung und Aufbau von Systemen zur Abwehr von Raketen mit Kernsprengköpfen erfordern einen ungeheuren Aufwand, ihre Wirkung wird immer unsicher bleiben. Gegen „schmutzige Bomben“ in den Händen von Terroristen werden sie ohnehin wirkungslos sein.

Ist die Abschaffung der Nuklearwaffen eine Utopie, ein schöner Traum?
Stellen wir uns eine Gruppe vor, die in einem kleinen Boot sitzend durch die starke Strömung auf einen Wasserfall zugetrieben wird. Wird sie darüber diskutieren, wie groß die Gefahr ist, im Wasserfall umzukommen und wie groß die Chance, sich ans Ufer zu retten? Oder wird sie alle Kräfte einsetzen, um zu versuchen, das rettende Ufer zu erreichen?

Nun haben sich vier Amerikaner für diesen Weg ausgesprochen, die man kaum als Träumer bezeichnen kann: Henry A. Kissinger, früherer Sicherheitsberater und Außenminister, George P. Shultz, früherer Außenminister, William J. Perry, früherer Verteidigungsminister, Sam Nunn, früherer Senator und Vorsitzender des Unterausschusses für die Streitkräfte. Präsident Obama hat sich ebenfalls dazu bekannt

Würde das Ziel der Abschaffung aller Kernwaffen von allen Staaten anerkannt, die sie besitzen, und würden die ersten Schritte getan, die zu diesem Ziel führen, so würde sich die Lage von Grund auf ändern. Das Ende der Privilegierung der Kernwaffenstaaten käme in Sicht. Das Nichtverbreitungs-Regime könnte die Unterstützung zurückgewinnen, die es verloren hat. Strengere Kontrollen würden hinnehmbar, weil sich künftig auch Kernwaffenstaaten solchen Kontrollen zu unterziehen hätten ,um zu verhindern, dass einer von ihnen doch versucht, Kernwaffen zu verbergen oder neue zu bauen.

Aber werden sich die Kernwaffenstaaten auf die Abschaffung einigen? Man darf erwarten, dass die USA unter dem Präsidenten Obama vorangehen werden. Können die anderen Kernwaffenstaaten eine solche Initiative ablehnen? Sie würden sich damit gegenüber der Mehrheit der Staaten, die keine Kernwaffen besitzen, bloßstellen und ihrer Verpflichtung aus dem Nichtverbreitungsvertrag nicht gerecht werden. Sie werden freilich versuchen, Bedingungen zu stellen, die ihre Interessen wahren.
Die Verhandlungen werden kompliziert werden. Man darf sie nicht den Experten überlassen. Die Parlamente und die Bürgergesellschaft werden sich engagieren müssen. Die ersten Schritte sollten ohne Verzug unternommen werden:
- Die USA sollten das umfassende Testverbot ratifizieren, das für die anderen Kernwaffenstaaten schon in Kraft ist.
- Alle Kernwaffenstaaten sollten sich verpflichten, ihre Kernwaffen nicht als Erste und nicht gegen solche Staaten einsetzen, die keine Kernwaffen haben.
- USA und Russland sollten sich verpflichten, unverzüglich mit Verhandlungen über weitere drastische Reduzierungen ihrer Kernwaffen innerhalb einer bestimmten Frist zu verhandeln. Sie sollten auch verhindern, dass die Entwicklung von Offensiv- und Defensivwaffen zu einer neuen Rüstungsspirale führen.
- Alle anderen Kernwaffenstaaten sollten sich verpflichten, die Zahl ihrer Kernwaffen zunächst jedenfalls nicht zu erhöhen.

Mit all diesen Schritten wäre keine Verminderung der Sicherheit für die betroffenen Staaten verbunden. Sie würden Zeit schaffen für Überlegungen über weitere Schritte.

Was geht das uns an? Deutschland hat doch keine Kernwaffen!
Aber auch wir leben unter den Gefahren, die von diesen Waffen ausgehen. Wir gehören zu den Staaten, die durch den Nichtverbreitungs-Vertrag auf Kernwaffen verzichtet haben. Wir haben immer auf Verhandlungen zur Verminderung von Kernwaffen gedrängt, besonders als es um Mittelstreckenwaffen ging, die auch bei uns stationiert werden sollten. Es ist damals gelungen, sich auf ihre Abschaffung zu einigen. Wenn nun die USA, unser wichtigster Verbündeter, ihre Politik auf die Abschaffung aller Kernwaffen ausrichten, sollten wir sie dabei unterstützen und gerade in Europa dafür werben. Dies ist nicht nur eine Sache der Regierungen, sondern auch der Bürgergesellschaft.

Wer diese große Idee unterstützen will, kann sich der Initiative Global Zero anschließen, in dem er oder sie auf der website www.globalzero.org unterschreibt.

Macht und Verantwortung

1. Einführung

In der gegenwärtigen Diskussion über die globale Ordnung wird vor allem über Macht – politische Macht - gesprochen, und zu wenig über die Verantwortung, die Hans Jonas am Herzen lag. Ich werde zunächst die Elemente von Jonas` neuer Ethik darstellen, die für dieses Thema von Bedeutung sind. Die philosophische Begründung muß ich beiseitelassen. In einem zweiten Schritt werde ich versuchen zu zeigen, was Jonas nicht ausgeführt hat und wo seine wenigen Andeutungen über die Anwendung seiner Ethik in der Politik der Ergänzung bedürfen.

Dann werde ich mich der Praxis zuwenden und zuerst zwei Probleme umreißen, vor denen sich die bestehende internationale Ordnung bewähren muß: Den Klimawandel und die Gefahr eines Krieges mit Nuklearwaffen. Beides Probleme, die wohl auch Jonas im Auge hatte, wenn er von der Fähigkeit der Menschheit zur Selbstvernichtung sprach. Vor diesem Hintergrund zeichnen sich sowohl die Mängel der bestehenden Ordnung wie auch die Unzulänglichkeit der Diskussion über diese Ordnung ab.

Daraus ergibt sich die Frage, wie die bestehende Ordnung weiterentwickelt werden könnte, um der Verantwortung gerecht zu werden, zu der uns Hans Jonas aufruft. Mehr als Fragen und einige Arbeitshypothesen werde ich nicht anbieten können. Ich hoffe sehr, dass uns die anschließende Diskussion etwas weiterbringen kann.

2. Jonas` Ansatz für eine neue Ethik

Jonas bezeichnet sein bekanntestes Buch, „Das Prinzip Verantwortung“, als „Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation“. Später, in einem Vortrag vom Oktober 1985 in Bonn, (in erweiterter Form veröffentlicht in: Philosophische Untersuchungen und metaphysische Vermutungen, 1992) sprach er vom Prinzip Verantwortung als Grundlegung einer Zukunftsethik.

Ich versuche nun, aus dem Gedankengang, mit dem er die Verantwortung in den Mittelpunkt der von ihm vorgeschlagenen Ethik stellt, das herauszuschälen, worauf ich mich in meinen weiteren Ausführungen stütze. Verkürzungen und Vereinfachungen sind dabei nicht zu vermeiden.

Die neue Herausforderung, der sich die Ethik heute gegenüber sieht, ergibt sich aus der Macht, die der Mensch durch moderne Wissenschaft und Technik erworben hat. Bacon hat das Programm formuliert: Das Wissen dient nicht in erster Linie dazu, die Natur zu verstehen, sondern sie dem Menschen dienstbar zu machen. Das ist in einem Maße gelungen, das man nicht erwarten konnte. Gerade im vergangenen Jahrhundert hat sich dieser Prozeß ungeheuer beschleunigt und auf alle Kontinente ausgebreitet.

Ebenfalls im 20. Jh. haben wir angefangen, zu verstehen, welche Gefahren sich daraus ergeben: Die Selbstvernichtung der Menschheit durch die Waffentechnik oder durch die Zerstörung der Bedingungen für ihr Überleben. Mit der Beschleunigung des Bevölkerungswachstums verschärfen sich die Gefahren. Die Belastung des Lebensraumes wächst sowohl durch steigende Ansprüche wie auch durch die zunehmende Zahl derer, die diese Ansprüche stellen. Jonas stellt dahin, ob die Natur gleich schutzwürdig ist wie der Mensch. Es kommt ihm vor allem darauf an, dass Menschen überleben, die unserem Menschenbild entsprechen, also selbst Verantwortung tragen können. Damit ist vorausgesetzt, dass sie frei sind, Pflichten übernehmen können und - wenn auch in einem engen Kreis – Macht haben.

Die Gefahr der Selbstvernichtung lässt uns die Pflicht erkennen, die Menschheit und ihre Lebensbedingungen zu erhalten. Für Jonas ist das der Punkt, in dem das Sollen im Sein wurzelt, aus diesem ableitbar ist. Weil die Menschheit die Macht über ihre Fortexistenz gewonnen hat, trägt sie dafür auch die Verantwortung. Diese erfasst – im Unterschied zu früher – nicht nur die Familie des Einzelnen, seine Gemeinde, seinen Tätigkeitsbereich. Sie erstreckt sich in die Zukunft, auf künftige Generationen, die zum Opfer der beschriebenen Gefahren werden können. Für die Menschheit bedeutet das: Sie muß Macht über die Macht gewinnen, die ihr durch Wissenschaft und Technik zugewachsen ist. Da diese Macht eine kollektive ist, muß es auch jene sein.

Zur Verantwortung gehört, sich ein möglichst umfassendes und präzises Wissen über die Folgen des eigenen Handelns zu verschaffen. Angesichts dessen, was auf dem Spiel steht, ist der schlechten Prognose stets der Vorrang einzuräumen. Die Existenz der Menschheit aufs Spiel zu setzen, ist durch keinen anderen Zweck zu rechtfertigen.

3. Wo hält Jonas inne, was führt er nicht aus?

Im Vorwort zum "Prinzip Verantwortung" schreibt Jonas von einem „der gesamten Untersuchung angehängten angewandten Teil, welcher die neue Art von ethischen Fragen an einer Auswahl von jetzt schon konkreten Einzelthemen illustrieren soll“. Er kündigt darüber eine Sonderveröffentlichung „binnen Jahresfrist“ an. Diese Absicht hat er mit Verspätung und – wenn ich recht sehe – nur auf einem Gebiet ausgeführt. Sein Buch “Technik, Medizin und Ethik“ mit dem Untertitel „Zur Praxis des Prinzips Verantwortung“ ist erst 1985 erschienen. Mit den dort zusammengefassten Aufsätzen will Jonas, wie er im Vorwort schreibt, „einen Anfang mit der Kasuistik machen, deren das erst zu erkundende Neuland technologischer Verantwortung noch mehr bedarf, als Moral und Recht im allgemeinen auf schon bekanntem Terrain tun“. Diese Kasuistik erfasst die Freiheit der Forschung und ihre Grenzen, vor allem aber Fragen der medizinischen Ethik. Jonas hat jedoch keine ausgearbeitete Antwort auf die von ihm selbst aufgeworfene Frage gegeben, wie man die Macht, die die Menschheit durch die Technik gewonnen hat (ich würde sie technische Macht nennen ) durch eine andere Macht (kontrollierende Macht) beherrschen könnte. Das ist eine im weitesten Sinn politische Frage. Mit ihr verbunden ist die Frage, wer eigentlich die Verantwortung für die Weiterexistenz der Menschheit und ihrer Lebensbedingungen tragen kann. Wer hat die dafür erforderliche Macht? Wer sollte sie haben? Das führt Jonas nicht aus.

Eine Äußerung von Jonas in dem 1990 geführten Gespräch mit Ulrich Beck und Walther Zimmerli deutet darauf hin, dass er sich dieser Lücke wohl bewusst war: Die Frage, vor der er sich am meisten fürchte, sei, was konkret zu tun ist. Ob es Rezepte, ob es ein Heilmittel gebe, ob es einen angebbaren Weg gebe, auf dem die Drohung, die uns ins Auge starrt, vielleicht abzuwenden sei. Das ist eine Frage, die weiterhin vor uns steht.

4. Die Drohung, die uns ins Auge starrt

An zwei Beispielen möchte ich einerseits die Gefahren erläutern, die wir heute vielleicht noch deutlicher sehen, als es zu Lebzeiten von Jonas möglich war. Andererseits will ich zeigen, dass sie gleichzeitig Bewährungsproben für die bestehende internationale Ordnung sind. Als Beispiele habe ich den Klimawandel und die Gefahr eines mit Nuklearwaffen geführten Krieges ausgewählt, weil sie offensichtlich staatenübergreifend, global oder, wie Jonas sagt, kollektiv sind. Gerade vor solchen Fragen muß sich die bestehende Ordnung, deren Bausteine souveräne Staaten sind, bewähren.

a) Der Klimawandel

Dies ist ein Thema, das nun auch öffentlich viel diskutiert wird. Wer aber annehmen würde, dass es ein Mode-Thema ist, das durch die Diskussion erst geschaffen wurde, befände sich im Irrtum. Auffälligkeiten in unserem Klima wurden schon vor zwanzig Jahren festgestellt. Um ihre Ursachen zu erforschen, wurde 1988 das Zwischenstaatliche Gremium über Klimawandel (IPPC), bestehend aus angesehenen Wissenschaftlern verschiedener Länder eingerichtet. Seine Berichte stellten den jeweils neuesten Stand der Forschung dar und versuchten, daraus Trends für die weitere Entwicklung abzuleiten. Was hatte sich gegenüber früheren Jahren verändert? Der Anteil von CO2 in der Atmosphäre hatte sich seit Beginn des Industriezeitalters um ein Drittel erhöht. Es war bekannt, dass CO2 zu den Treibhausgasen gehörte. Nun beobachtete man in den 90er Jahren eine deutliche Erwärmung des Klimas. Damit drängte sich der Schluß auf, dass die Zunahme des CO2-Gehalts in der Atmosphäre mindestens eine Ursache für die Erwärmung der Erde bildet. Das ist unter den Wissenschaftlern Konsens geworden. Erst 1997 wurde das Kyoto-Protokoll unterzeichnet, das von den Beteiligten als erster Schritt zur Begrenzung des CO2-Ausstosses betrachtet wurde. Die USA, der größte CO2-Produzent, ratifizierten es nicht. Mehr als eine Verlangsamung der Erwärmung ist davon nicht zu erwarten. Soll der Trend angehalten oder umgekehrt werden, so sind viel stärkere Verminderungen des CO2-Ausstosses notwendig.

Die Forschungsergebnisse der Klimatologen, Meteorologen und Ökologen erlauben uns nun, die Verletzlichkeit des Klimas der Erde und damit der Bedingungen für unser Überleben gründlicher zu verstehen. Betrachten wir die Bedingungen, unter denen sich höheres Leben entwickeln und behaupten kann, so verstehen wir, dass es sich um einen winzigen Ausschnitt aus den Zuständen handelt, die in unserer Umgebung herrschen: Zwischen der Eiseskälte des Weltraums und der Gluthitze des Erdinneren findet sich das Leben nur in einer zarten Haut, die unseren Planeten bedeckt. Dies ist ein labiler Zustand zwischen zwei stabilen Extremen: Vereisung der Erdoberfläche einerseits, Temperaturen von etwa 400 Grad andererseits. Nur das Leben hat die Entwicklung eines wenn auch labilen Gleichgewichts zwischen den beiden Extremen möglich gemacht.

Störungen des Gleichgewichts durch Naturereignisse - wie riesige Vulkanausbrüche oder Meteoriten-Einschläge - können über Jahrzehnte hinweg ausgeglichen werden. Die Störung, die vom Menschen ausgeht, ist nicht eine einmalige, sondern über viele Jahrzehnte sich hinziehende und kumulative. Ihre Wirkungen haben, wie wir heute wissen, die Tendenz, sich selbst zu verstärken: Z. B führt das Abschmelzen der Gletscher, das wir bereits beobachten, dazu, dass mehr Sonnenenergie absorbiert wird, was zu weiterer Erwärmung führt.

Der Spielraum für Klimaänderungen, die ohne große Beeinträchtigungen hingenommen werden können, ist auf einer Erde mit sieben Mrd. Menschen nicht mehr groß. Ein Ansteigen des Meeresspiegels um 1 m als Folge der abgeschmolzenen Gletscher würde nicht nur einige kleine Inselstaaten, sondern auch Länder wie Bangladesch gefährden, wo ein Drittel der Bevölkerung in küstennahen Gebieten lebt.

Die Lage ist klar: Die Menschheit muß ihr Verhalten – sowohl die Konsumgewohnheiten wie die Art der Energieproduktion – so einrichten, dass es das labile Gleichgewicht des Erdklimas nicht gefährdet. Tut sie das nicht, so wird sie sich selbst in katastrophale Lagen steuern.

Ist unser internationales System dieser Herausforderung gewachsen? Auf diese Frage werde ich im nächsten Kapitel zurückkommen.

b) Der Nuklearkrieg

Wenn Jonas von der Fähigkeit der Menschheit zur Selbstvernichtung sprach, hatte er, vermute ich, auch den Einsatz von Massenvernichtungswaffen im Auge. Ich kenne allerdings nur eine Stelle, an der er über Atomwaffen spricht. In einem Gespräch, das unter dem Titel „Im Zweifel für die Freiheit?“ 1981 veröffentlicht wurde, erwähnt er die erste Kernspaltung durch Otto Hahn. Man habe die Sache in Hiroshima wirklich in voller Wucht ausprobiert und dann die Folgen gesehen. Er bemerkt dazu, „es wäre sehr viel besser, dass wir diese Erkenntnisse schon gar nicht hätten, wenn sie nur um diesen Preis zu erwerben waren“.

Als er sein „Prinzip Verantwortung“ schrieb, hatten die beiden großen Mächte, die einander gegenüberstanden, eine Menge von Nuklearwaffen erzeugt, die um ein Mehrfaches höher war als das, was gebraucht wurde, um den Gegner vollständig zu vernichten. Man nannte das „overkill“. Zweimal war eine Waffe dieser Art bereits eingesetzt worden: Im August 1945 gegen die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki, um Japan zur Kapitulation zu zwingen und so den Krieg abzukürzen. Das Erschrecken über ihre Wirkung – vor allem die zunächst unterschätzte Fernwirkung durch radioaktiven Niederschlag – führte dazu, dass eine Reihe von Wissenschaftlern, die an der Entwicklung der Bombe mitgearbeitet hatten, sich nun von ihrem Werk abwandten und sich dafür einsetzten, auf solche Waffen zu verzichten.

Aber auch bei denen, die über den Einsatz solcher Waffen zu entscheiden hatten, jedenfalls bei einigen von ihnen, wuchs die Einsicht: Wer immer den Befehl zum Einsatz gibt, tut den ersten Schritt auf einem abschüssigen Gelände, das ins Dunkle und Unbekannte führt. Das war eine Erfahrung der Kuba-Krise, in der USA und Sowjetunion der Entscheidung zum Einsatz nahe kamen. Der Verlauf der entscheidenden Tage im Weißen Haus ist aus den Aufzeichnungen Beteiligter ziemlich gut bekannt. Diese Erfahrung förderte die Einsicht, dass man auf die Abschreckung allein nicht bauen durfte, dass man vielmehr die Gefahr des Einsatzes auch durch Vereinbarungen vermindern musste, z. B. durch die Einrichtung einer besonderen Nachrichtenverbindung, die im Krisenfall eine rasche Abstimmung erlaubte.

In den folgenden Jahrzehnten wurde versucht, sowohl das ständige Anwachsen der Zahl der Nuklearwaffen wie auch ihre Verbreitung auf immer mehr Staaten zu verhindern. Das ist nur sehr unvollkommen gelungen. Zu den Staaten, die durch den Nichtverbreitungsvertrag von 1967 als Nuklearwaffenstaaten anerkannt wurden, sind 1998 Indien und Pakistan als Atomwaffenbesitzer gekommen. Iran und Nordkorea bemühen sich darum. USA und Russland haben 2002 einen Vertrag geschlossen, demzufolge sie bis 2012 die Zahl ihrer Sprengköpfe jeweils auf 1700 bis 2200 vermindern wollen. Die überzähligen Sprengköpfe müssen aber nicht vernichtet, sondern können eingelagert werden. Es ist zweifelhaft, ob die USA und Russland damit erfüllt haben, wozu sie sich im NVV verpflichtet hatten: Über die Beendigung des nuklearen Wettrüstens und die nukleare Abrüstung aufrichtig (in good faith) zu verhandeln. Die anderen NW-Staaten verhandeln darüber überhaupt nicht.

Drei Gefahren ergeben sich aus dem jetzigen Zustand:
- Nuklearwaffen werden aus Versehen oder aufgrund eines Missverständnisses eingesetzt.
- Sie werden zur Abwendung der bevorstehenden Niederlage in einem konventionellen Krieg durch die verlierende Partei eingesetzt.
- Sie fallen in die Hände gewaltbereiter Gruppen und werden von ihnen zur Erpressung benützt.

Alle diese Gefahren können durch die Verminderung der Zahl der Nuklearwaffen und der Zahl ihrer Besitzer vermindert werden. Völlig zu beseitigen sind sie nur durch die Abschaffung dieser Waffen.

5. Wie gelangt man zu den notwendigen Entscheidungen?

Die Entscheidungen, die zur Abwendung der soeben skizzierten Gefahren notwendig sind, müssen das Ganze unseres Planeten erfassen. Wie aber gelangt man zu Entscheidungen von globaler Geltung?

Das hängt von der globalen Ordnung ab, von der Art und Weise, in der sie funktioniert und von der Richtung, in der sie sich entwickelt oder in die sie entwickelt werden soll. Darüber gibt es seit Jahren eine lebhafte, auch etwas wirre Diskussion, angeheizt durch den Zusammenbruch der Sowjetunion. Dadurch hatte eine bipolare Struktur ihr überraschendes Ende gefunden, die über Jahrzehnte hinweg die globale Ordnung überlagert hatte. George Bush sen. sprach damals von einer „neuen Weltordnung“. Nicht wenige fühlten sich berufen, diesen Begriff mit Inhalt zu füllen. Aber keinem gelang der große Wurf.

Zunächst traten die Bausteine der bestehenden Ordnung wieder deutlicher hervor: In Mittel- und Osteuropa gewannen die meisten Satellitenstaaten ihre Handlungsfähigkeit wieder, während die DDR der Bundesrepublik Deutschland beitrat. Sogar die Ukraine und Weißrußland trennten sich von Russland. Im Kaukasus und in Zentralasien verwandelten sich Sowjetrepubliken in unabhängige Staaten.

Für uns erscheint selbstverständlich, dass die gesamte Erdoberfläche, soweit sie aus Festland besteht, - mit Ausnahme der Antarktis – zwischen Staaten aufgeteilt ist, denen die VN-Charta „souveräne Gleichheit“ zuspricht. Bei der Gründung der VN waren es 50, heute sind es 195 Staaten. Die Mehrzahl von ihnen wurde aus den Kolonialreichen der Briten, Franzosen, Spanier und Portugiesen gebildet. Sie erhielten, auf einem meist von den Kolonialherren zugeschnittenen Gebiet, den Status souveräner Staaten, einen Status also, der sich nach dem Westfälischen Frieden in Europa herausgebildet hatte.

Die Lage nach dem großen Krieg, der 1648 endete, hatte neue Fragen aufgeworfen. Die Stellung der Kirche und die Gewißheiten der Religon waren durch Reformation und Kirchenspaltung erschüttert worden. Die Fürsten und ihre Gesandten, die in Osnabrück und Münster über eine neue Ordnung für Europa verhandelten, ließen sich von dem leiten, was sie für die spezifischen Interessen ihrer Staaten hielten. Grundsätze, die sie alle binden sollten – das Naturrecht – wurden im 17. Jh. entwickelt: Hobbes, Grotius, Pufendorf und Leibniz leisteten wichtige Beiträge. Sie waren teilweise noch von mittelalterlichem theologischen Denken beeinflusst, griffen aber auch auf die antike Philosophie, besonders auf die Stoa zurück. Das Naturrecht wurde zu einer Wurzel des Völkerrechts. Politische Wirkung gewann das naturrechtliche Denken auch in der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung und in der Französischen Revolution.

Später hat sich auch im Völkerrecht der Rechtspositivismus durchgesetzt. Wie diese Entwicklung auch mit dem von Jonas dargestellten und beklagten Vordringen des Dualismus von Geist und Materie und dem daraus folgenden Übergewicht des mechanistischen Denkens zusammenhängt, ist eine interessante Frage, die beiseite bleiben muß. Entscheidend ist: Der Rechtspositivismus erkennt die Natur des Menschen als Vernunft- und Gemeinschaftswesen nicht mehr als Prinzip an, aus dem sich Rechtssätze herleiten lassen. Nur in der Formulierung der Menschenrechte ist der naturrechtliche Ursprung noch sichtbar: So spricht die VN-Charta in ihrer Präambel vom „Glauben an die Grundrechte des Menschen“. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte erkennt in der Präambel die Würde und die gleichen und unveräußerlichen Rechte des Menschen als schon bestehend an. Im übrigen gilt im heutigen Völkerrecht neben bilateralen und multilateralen Verträgen vor allem das Gewohnheitsrecht als Rechtsquelle. Es wird abgeleitet aus dem Handeln der Staaten, soweit es sich auf gemeinsame Rechtsüberzeugung gründet. Gerade auf die mangelnde Präzision dieser Rechtsquelle stützen sich heute die Kritiker, die die Rechtsqualität des Völkerrechts überhaupt bestreiten.

In dieser durch den Positivismus geschwächten, mehr vorsichtig bewahrenden als voraus- denkenden Form breitete sich das Völkerrecht, gleichlaufend zur Entkolonialisierung, weltweit aus. Es gibt Völkerrechtler, wie Richard Falk, die von einer „Post-Westphalian Perspective“ und – in Anspielung auf Hugo Grotius – von einem „Grotian moment“ sprechen. Sie meinen damit , daß für eine zusammenwachsende Welt eine neue Art von Recht entwickelt werden müsse. Aber ein neuer Grotius ist bisher nicht aufgetaucht.

Was sind nun – neben den bindenden völkerrechtlichen Regeln – die Richtlinien, an denen der politisch Verantwortliche in den internationalen Beziehungen sich orientiert oder sich orientieren sollte?

Mit diesem „oder“ ist ein Problem angesprochen, das für die Politikwissenschaft, zu der ich die Lehre von den internationalen Beziehungen rechne, von großer Bedeutung ist. Betrachtet sie sich als Sozialwissenschaft, so beschränkt sie sich auf die Beschreibung und Analyse des tatsächlichen politischen Handelns und die Entwicklung von Modellen, durch welche die Wirklichkeit erfasst wird. Mit dem, was die Politiker tun sollen, hat die Politikwissenschaft dann nichts zu tun. Sie kann den Politikern nur insofern einen Rat geben, als sie Parallelen entweder in der Geschichte oder in anderen Ländern aufzeigen und daraus Schlüsse für bestehende Handlungsoptionen ableiten kann. Tatsächlich ist nur ein Teil der politikwissenschaftlichen Literatur methodisch konsequent. Irgendwo fließt doch Wertung ein, auch wenn sie nicht immer deutlich von der Analyse abgegrenzt wird.

Viel wichtiger als diese Methodenfrage ist jedoch die in der Politikwissenschaft von Vielen vertretene Lehre, Politik habe inhaltlich nichts mit Moral zu tun, es handle sich um zwei völlig getrennte Sphären. Machiavelli wird für diese Lehre in Anspruch genommen, auch Hobbes, obwohl dies nicht so eindeutig ist. Ich beschränke mich hier auf eine kurze Darstellung der von Hans Morgenthau entwickelten Lehre des politischen Realismus, die – wenn auch oft in vergröberter Form – großen Einfluß gewonnen hat, auch bei uns, und die für die Diskussion über die globale Ordnung besonders wichtig ist.

Hans Morgenthau begann als Völkerrechtler, wandte sich aber – nachdem er in die USA emigriert war – einer neuen Disziplin zu, die „International Relations“ genannt wurde und auf deren Entwicklung er großen Einfluß hatte. Seine Kritik richtete sich gegen einen „Universalismus“, den er nicht nur für utopisch, sondern auch für gefährlich hielt. Er ignoriere den Machttrieb des Menschen als wesentlichen Faktor des Politischen. Er neige zu einer moralischen Herabsetzung des Gegners, ja zu einer Rechtfertigung von Kreuzzügen gegen ihn. Dagegen liefere ein richtiges Verständnis nationaler Interessen eine viel klarere Richtlinie für die Außenpolitk und könne zu einer gewissen internationalen Ordnung und zur Einhaltung nationaler Mindeststandards führen.

Morgenthaus Thesen wurden in den USA von konservativen Politikern gern aufgegriffen. Henry Kissinger ist wohl der Bekannteste unter denen, die zu seiner Schule gerechnet werden. Für ein Prinzip Verantwortung bietet diese Lehre offensichtlich keinen Platz.

Noch heute stößt man bei der Lektüre politikwissenschaftlicher Bücher, aber auch von Kommentaren und Leitartikeln auf Spuren des Morgenthau`schen Denkens, auch wenn er nicht zitiert wird.. Jede außenpolitische Entscheidung muß für diejenigen, die Morgenthau verinnerlicht haben, aus nationalen Interessen entspringen – während die Politik darüber tatsächlich längst hinausgegangen ist.

In der heutigen politischen Praxis der USA bemerken wir eine merkwürdige Mischung von Realismus und Universalismus (im Morgenthauschen Sinn). Dem Realismus entspricht die Betonung amerikanischer Interessen, die Skepsis gegenüber dem Völkerrecht und den VN. Gleichzeitig aber sehen wir die Einteilung der Welt in Gut und Böse, die Rechtfertigung von Interventionen als Kreuzzug für die Demokratie – Tendenzen, die Morgenthau entschieden ablehnte.

Es war ein weiterer Emigrant aus Deutschland, John Herz, der bereits in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts versuchte, den Realismus zu überwinden. Ihm verdanken wir eine Annäherung an die globale Verantwortung aus der Perspektive der Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen. In seiner 1984 erschienen Autobiographie „Vom Überleben“ beschreibt er die Entwicklung seines Bildes von der Welt. Auch er sah den Machtkampf als wesentliches Element der internationalen Politik an, führte dies aber nicht auf den Machttrieb des Menschen zurück, sondern viel konkreter auf das Sicherheitsdilemma, das er so beschreibt: Solange sich Menschen in ganz kleinen Gruppen und isoliert von anderen Gruppen zusammenfinden, mag es für sie möglich sein, konfliktlos und friedlich zu existieren. Sobald sie aber mit anderen Gruppen in Konkurrenz geraten, müssen sie befürchten, von den Konkurrenten beeinträchtigt, vertrieben oder gar getötet zu werden. Der Instinkt der Selbsterhaltung treibt die Gruppe dann dazu an, um ihrer eigenen Sicherheit willen ihre Macht zu erweitern. Der Gegner geht zu eigenen Verteidigungsvorbereitungen über und so entsteht der Teufelskreis von Machtkonkurrenz, Rüstungswettlauf und Krieg.

Dieses Dilemma kann man in der Staatenpraxis tatsächlich immer wieder beobachten.

Herz setzte sich aber auch mit den neuen Gefahren auseinander und kam dabei zu dem Ergebnis, dass die herkömmliche sozialdarwinistische Gruppenethik einer „Minimumethik des Überlebens der Menschheit“ weichen müsse. In seinen Erinnerungen schildert Herz, wie Jonas und er bei einem Symposium in Haifa 1974 die Nähe ihres Denkens erkannten und sich in die Arme fielen.

Hier ist nun kurz auf ein Projekt hinzuweisen, das in die gleiche Richtung zielt: Hans Küngs Projekt Weltethos. Es überrascht allerdings, dass Küng seine Forderung nach einem Weltethos nicht auf das philosophisch sorgfältig ausgearbeitete „Prinzip Verantwortung“ gründet. Er erwähnt Jonas zusammen mit Ernst Bloch in einer Weise, die Zweifel weckt, ob er ihn überhaupt verstanden hat. Gleichwohl ist es ihm gelungen, seine Ideen in vielen Konferenzen und Symposien vorzutragen. Er hat wohl dazu beigetragen, die Wahrnehmung der globalen Probleme zu verbreiten. Aber bei der Verständigung über den Inhalt des globalen Ethos sind die Fortschritte nicht sehr eindrucksvoll.

Viel wirksamer ist eine andere Gegenposition zur realistischen Schule: Sie wurde von Völkerrechtlern und auch einigen Politikwissenschaftlern formuliert und besteht darin, dass internationale und globale Probleme durch die Weiterentwicklung rechtlicher Regeln und durch verstärkte Zusammenarbeit in internationalen Organisationen gelöst werden sollen. Auf die gewaltsame Durchsetzung eigener Interessen soll verzichtet, die gemeinsamen Interessen sollen durch Verhandlungen geklärt, in Regeln gefasst und diese sollen, wo es notwendig und zweckmäßig ist, von internationalen Organisationen durchgeführt werden.

Blicken wir auf die bestehende globale Ordnung, so zeigt sich, dass diese Schule – ich nenne sie mangels eines besseren Begriffs die multilaterale – in der Praxis für ein weite Feld internationaler Zusammenarbeit große Bedeutung erlangt hat. Die Satzung der VN ist von ihr geprägt. Das System internationaler Organisationen ist stärker und dichter geworden, wenn auch seine Leistungen sehr unterschiedlich und nicht immer befriedigend sind. Die Menge völkerrechtlicher Regelungen ist riesig angeschwollen und wächst von Jahr zu Jahr weiter. Mit der Methode internationaler Verhandlungen, völkerrechtlicher Vereinbarungen und der Zusammenarbeit in internationalen Organisationen werden auch die Gefahren für die Umwelt angegangen. Es ist allerdings fraglich, ob mit dieser Methode die notwendigen Entscheidungen rechtzeitig getroffen werden können. Offen bleibt auch die Frage, wie der Widerstand einzelner Staaten gegen globale Regelungen überwunden kann und wie diese Regeln durchgesetzt werden können.

Viel geringer sind die Fortschritte bei der Einhegung von Krieg und Gewalt. Die Liste der Kriege und innerstaatlichen mit Gewalt ausgetragenen Konflikte seit dem Ende des 2. Weltkriegs ist lang. Wir beobachten die Wirkung des Sicherheitsdilemmas in vielen unsicheren Regionen. Dazu kommt das Versagen von Staaten bei der Sicherung ihrer inneren Ordnung. Die gefährlichsten Waffen, die Nuklearwaffen, existieren weiter. Zwar hat ihre Zahl, verglichen mit dem Höhepunkt des Kalten Krieges, abgenommen. Aber die Zahl der Staaten, die solche Waffen besitzen, hat zugenommen und droht weiter zu wachsen .

Was jetzt entschieden werden kann und muß, ist, in welche Richtung man gehen will:

Sollen die nuklear bewaffneten Staaten ihre Arsenale weiter entwickeln? Soll man der Verbreitung dieser Waffen freien Lauf lassen? Soll man sich bemühen, die Wirkung dieser Waffen technisch zu vermindern, um die Hemmschwelle, die ihren Einsatz seit 1945 verhindert hat, niedriger zu machen?

Oder soll man sie abschaffen? Das wäre – auch wenn die Staaten sich darauf einigen könnten, ein komplizierter und langwieriger Prozess. Die Vernichtung der Waffen wäre eine technisch schwierige Aufgabe, deren Erfüllung genau überwacht werden müsste. Auch müsste sichergestellt werden, dass keine neuen Waffen dieser Art gebaut werden.

Die Grundfrage, die sich aus dem Prinzip Verantwortung ergibt, lautet: Ist eine Strategie zulässig, die im Falle ihres Versagens das Leben vieler Unbeteiligter, ja im Extremfall großer Teile der Menschheit aufs Spiel setzt? Das mag in einer besonderen geschichtlichen Situation zu rechtfertigen sein. Aber kann eine solche Strategie als dauerhafte Grundlage der Sicherheit dienen?

Wenn nicht, muß man jetzt beginnen, sie Schritt für Schritt durch eine andere zu ersetzen. Das bedeutet immer stärkere Einschränkung der Fälle, für die ein Einsatz dieser Waffen geplant wird und dementsprechend fortschreitende Verminderung ihrer Zahl auf Grund von Vereinbarungen zwischen allen Nuklearmächten. Dann wird auch der Verzicht von anderen Staaten auf den Erwerb solcher Waffen wieder leichter durchsetzbar. Ob am Ende die völlige Abschaffung dieser Waffen stehen kann, ist jetzt noch nicht vorauszusehen.

6. Ausblick

Es hat sich gezeigt: Die Ethik, die Jonas auf die Verantwortung für die Weiterexistenz der Menschheit gegründet hat, hat in der Diskussion über die globale Ordnung bei weitem nicht den Platz gefunden, der ihr zukommt. Dabei ist ein besserer Ansatz für die Zukunftsethik, die wir brauchen, nicht zu sehen. Das Denken muß aber auch bei der Weiterentwicklung der globalen Ordnung dem Handeln vorangehen und ihm den Weg weisen. Hierzu einige Überlegungen, die den Schluß meines Vortrages bilden und Anregungen für das Weiterdenken geben sollen.

Zunächst sollte die Ethik ihren Platz als Leitlinie für die Politik wiedergewinnen. Dies ist in erster Linie eine Aufgabe der Philosophen. Sie sollten immer wieder daran erinnern, dass es moralfreie Räume im menschliche Handeln nicht geben kann, daß auch der politisch Handelnde an moralische Regeln gebunden ist. Insofern sollte die realistische Schule der Politikwissenschaft philosophisch widerlegt werden

Zweitens: Wollen wir der Verantwortung für die Weiterwohnlichkeit der Welt (ein Begriff von Hans Jonas) gerecht werden, müssen wir unseren Planeten als eine Einheit sehen, als ein ökologisches System, dessen Empfindlichkeit und Verletzlichkeit wir immer besser verstehen müssen.

Drittens: Aus der Verbindung des planetarischen Denkens mit der Jonas´schen Ethik ergibt sich: Unsere Verantwortung hat sich ungeheuer erweitert und erstreckt sich heute auf den ganzen Planeten. Das gilt z. B. schon für den Einzelnen als Verbraucher. Die Verantwortung ist aber auch kollektiv, d. h. sie durchdringt das politische Handeln, das vorher nur auf das Wohl des eigenen Staates und seine Behauptung gegenüber anderen Staaten gerichtet war. Wer politische Macht hat ist nun auch dafür verantwortlich, daß der eigene Staat durch sein Verhalten insgesamt nicht die Weiterwohnlichkeit des Planeten gefährdet. Dies kann man nicht den Gesetzen des Marktes überlassen. Weltweites Wirtschaften nach diesen Gesetzen kann zwar die Produktion ausweiten und die Kosten senken. Aber die Aufrechterhaltung des ökologischen Gleichgewichts auf dem Planeten ist Sache politischer Entscheidungen.

Viertens: Der politisch Handelnde, der zugleich Verantwortung für den eignen Staat und für den Planeten trägt, gerät in Dilemmata. Ein Beispiel: Soll sich Staat A an der Weiterwohnlichkeit des Planeten orientieren, auch wenn er nicht sicher ist, dass die Staaten B, C usw. dies auch tun? Wenn nicht, hat A seine Interessen geopfert, ohne daß das gewünschte Ergebnis, der Schutz der Weiterwohnlichkeit, erreicht wird. Staat A muß sich also um Vereinbarungen mit den anderen Staaten bemühen. Erzwingen kann er sie nicht.

Hier sei auch noch einmal an das Sicherheitsdilemma erinnert, das sich aus dem Nebeneinander souveräner Staaten ergibt und das John Herz beschrieben hat.

Fünftens: Die Souveränität der Staaten wird also eingeschränkt werden müssen. Kann dies durch eine Weiterentwicklung des internationalen Rechts geschehen, durch Rechtsgrundsätze, die unabhängig von der Staatenpraxis und über die getroffenen Vereinbarungen hinaus gelten und den Kern eines wirklich globalen Rechts bilden würden? Könnte die Pflicht eines jeden Staates, sein Verbrauchs- und Produktionsverhalten innerhalb der Grenzen zu halten, die durch das globale ökologische Gleichgewicht gesetzt sind, ein solcher Rechtsgrundsatz sein? Könnte die Entscheidung, wo diese Grenzen liegen, überstaatlichen Instanzen übertragen werden, in deren Verfahren der Sachverstand angesehener und unabhängiger Wissenschaftler großes Gewicht erhalten müsste?

Sechstens: Ob man die Entscheidungen, die zur Einschränkung staatlicher Souveränität führen, gerade den Institutionen der Staaten überlassen darf, ist zweifelhaft. Die Bürger und ihre Vereinigungen werden dabei eine treibende Rolle spielen müssen. Weil sie in einer Demokratie ihre Tätigkeit frei entfalten können, weil sie im demokratischen Verfahren auf Parlamente und Regierungen Einfluß nehmen können, werden die Impulse für das Umdenken von demokratischen Gesellschaften ausgehen müssen – wie schon bisher. In der Tat steht es den Gesellschaften, in denen der Gedanke des souveränen Staates entwickelt und zuerst verwirklicht wurde, gut an, auch bei der Einschränkung und Überwindung dieses Modells voranzugehen. Gerade in Europa ist dafür ein, freilich regional begrenztes Modell entstanden, das zeigt, dass die historisch gewachsenen Staaten auch mit eingeschränkter Souveränität bestehen können.

Die Anregungen, die von Hans Jonas ausgegangen sind, sollten uns den Mut geben, angesichts der neuen Gefahren über das Herkömmliche und Gewohnte hinauszudenken, auch auf dem Gebiet der Politik. Die Beharrungskräfte des geschichtlich Gewachsenen dürfen wir dabei freilich nicht außer Acht lassen.


(Dieser Text ist in dem Sammelband „Gott – Welt – Mensch“, Berlin 2008 erschienen.)

Freitag, 19. Dezember 2008

Klimaschutz als Gebot der Zukunftsethik

Hans Jonas-Zentrum g.e.V.
http://www.hans-jonas-zentrum.de/

I. Zur Lage - Ursachen und Gefahren des Klimawandels

Seit 1970 ist die Durchschnittstemperatur der Erde um 0,6°C gestiegen. Zu den letzten neun Jahren gehörten die sieben wärmsten, die seit 1880 gemessen wurden. Seit Beginn der industriellen Revolution ist der Anteil von CO2 – dem wichtigsten Treibhaus Gas – von 227 ppm auf 384 ppm gestiegen. Der Zusammenhang zwischen diesen beiden Erscheinungen ist offensichtlich und wird kaum mehr bestritten. Würde der Ausstoß von CO2 weiter wachsen wie bisher, so würde die Durchschnittstemperatur an der Erdoberfläche nach Schätzung des IPCC noch in diesem Jahrhundert um 1,1 bis 6,4° C ansteigen.

Dies hätte für die Menschheit gefährliche Folgen:
- Erhöhte Temperaturen gefährden die Gesundheit, wie die Hitzewelle von 2003 in Europa gezeigt hat.
- Die Produktion von Getreide würde sich – bei unvermindert raschem Bevölkerungswachstum – vermindern. Wissenschaftler schätzen, dass ein Temperaturanstieg um 1° zu einem Rückgang der Getreideernte um 10% führen würde.
- Das Schmelzen der Gletscher, das seit vielen Jahren zu beobachten ist, würde sich noch beschleunigen. Riesige Regionen insbesondere in Asien sind jedoch während der regenfreien Jahreszeit vom Schmelzwasser der Gletscher abhängig. Würden die Gletscher verschwinden, so würde die Wasserversorgung in diesen Regionen, in denen Milliarden von Menschen leben, zusammenbrechen.

Das Schmelzen der größten Gletscher in der Arktis, in Grönland und in der Antarktis sowie die Ausdehnung des Meerwassers durch Erwärmung würden zu einem Anstieg des Meeresspiegels um bis zu sieben Meter führen. Dadurch würden dicht besiedelte küstennahe Gebiete vieler Länder und sogar kleine Inseln überschwemmt. Die Gefahren von Sturmfluten und Tsunamis würden weiter zunehmen. Wasserknappheit einerseits, Überschwemmungsgefahr andererseits würden ohnehin schwache Regierungen überfordern. Sie würden vorhandene Konflikte verschärfen und könnten zu neuen Konflikten führen.

Die Krise, in der sich die Weltwirtschaft befindet, darf die Sicht auf diese Probleme nicht verstellen. Im Gegenteil: Die Programme zu ihrer Überwindung, die jetzt diskutiert werden, sollten einen Schwerpunkt auf Investitionen legen, die dem Schutz des Klimas dienen, z. B. die Umstellung auf erneuerbare Energiequellen, die Entwicklung Energie sparender Produkte, wie Autos mit erheblich vermindertem CO2-Ausstoß.

II. Umdenken, Umsteuern – zukunftsverantwortlich handeln!

Der Mensch hat in den letzten Jahrhunderten sein gewachsenes Wissen und seine technischen Fähigkeiten vor allem benützt, um sich die Natur dienstbar zu machen. Jetzt zeigt sich, dass er bereits begonnen hat, seine eigenen Lebensbedingungen zu schädigen, ja dass er sie zerstören könnte, wenn er mit der Ausbeutung der Erde fortfahren würde wie bisher. Es verbreitet sich die Einsicht, dass der Mensch selbst ein Teil des Erdsystems ist, von dem seine Lebensbedingungen abhängen. Er muss sein Verhalten nun so ändern, dass die bereits angerichteten Schäden repariert und neue Schäden vermieden werden:

Das menschliche Verhalten muss sich künftig in dem Rahmen halten, der durch das Erdsystem bestimmt wird. Wir müssen unseren Lebensstil- und die gesellschaftliche Ordnung so verändern, dass sie verträglich werden mit der Permanenz eines menschenwürdigen und verantwortungsfähigen Daseins auf Erden.

III. Ethik der Zukunftsverantwortung

Die Übernahme der Verantwortung für die Fortexistenz der Menschheit ist eine unteilbare Verpflichtung, die für jedes vernunft- und handlungsfähige Wesen ausnahmslos verbindlich ist. Sie mündet in den neuen kategorischen Imperativ: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“

Dieser Imperativ gründet auf der neuen Erkenntnis, dass der Mensch durch sein Handeln auf die Gesamtheit der Natur, seine Umwelt, einwirkt, ja dass er deren Gleichgewicht und damit die Bedingung für menschliches Leben stört und – wenn er sein Verhalten nicht ändert – zu zerstören droht. Die Erwärmung des Erdklimas als Folge der Emission von Treibhausgasen führt uns diese Gefahr vor Augen. Dem Menschen fällt, wie Hans Jonas dargelegt hat, die Verantwortung zu, die Störung und erst recht die Zerstörung der Bedingungen für das Überleben der Menschheit abzuwenden. Seine Verantwortung erstreckt sich auch auf das Schicksal künftiger Generationen und bildet den Kern einer neuen Zukunftsethik.

Um dieser Verantwortung gerecht zu werden, muss er seine Umwelt immer besser verstehen. Jonas nennt dies die neue Rolle des Wissens in der Moral. Die Verantwortung schließt die Pflicht ein, das Wissen immer mehr zu erweitern und zu vertiefen.

Wir müssen die drohenden Menschheitsgefährdungen scharf ins Auge fassen, sowohl um uns klarzumachen, was wir unbedingt bewahren und entwickeln sollen, als auch um den Impuls für die einschneidenden Anstrengungen zu gewinnen - für das nötige Umsteuern. Hans Jonas nennt diese moralische Folgenbewertung die „Heuristik der Furcht“.

Unsere Fähigkeit zur Prognose wird jedoch immer begrenzt bleiben. In der Regel müssen die Wissenschaftler – wie die Mitglieder des IPCC – mit verschiedenen Szenarien arbeiten. Jonas hat ausgeführt, dass wir – angesichts dessen, was auf dem Spiel steht – unser Handeln an der schlechteren Prognose ausrichten müssen.

Wir dürfen nicht auf den Versuch verzichten, die drohenden Gefahren abzuwenden, weil wir den Erfolg als unsicher oder sogar unwahrscheinlich einschätzen. Mit den Worten von Hans Jonas: Fatalismus wäre Todsünde.

Die Reaktion auf das Werk von Hans Jonas „Das Prinzip Verantwortung“ hat gezeigt, dass viele seiner Zukunftsethik intuitiv zustimmen. Seine wesentlichen Aussagen können aber auch durch den von Diskursethikern vorgeschlagenen Diskurs vernünftiger Menschen bestätigt werden. Wer könnte vernünftigerweise den Fortbestand der Menschheit als Verpflichtung der jeweils lebenden Generation bestreiten? Der Diskurs muss verbessert werden. Wo es um globale Probleme geht, muss er weltweit geführt werden, nicht nur zwischen Regierungen, sondern auch zwischen gesellschaftlichen Organisationen. Wissenschaftliche Erkenntnisse sind dabei stets einzubeziehen.

IV. Rasches Handeln ist notwendig

1. Felder des Handelns

Jeder Einzelne trägt als Verbraucher oder Unternehmer seinen Anteil an der Verantwortung für die Bewahrung der Bedingungen, die den Fortbestand des menschlichen Lebens sichern. Es ist offensichtlich, dass der Lebensstil, der in den Industrieländern entwickelt wurde, auf die Dauer mit der Bewahrung dieser Bedingungen nicht vereinbar ist. Wenn die Schwellenländer, die gleichzeitig die bevölkerungsreichsten sind, diesen Lebensstil übernehmen wollen, so werden die bereits erkannten Gefahren noch rascher ansteigen. Der Energiebedarf würde weiter wachsen. Da er durch erneuerbare Energiequellen auf kurze Sicht nicht gedeckt werden kann, würden noch mehr konventionelle Kraftwerke gebaut werden. Der Ausstoß von CO2 würde nicht sinken, sondern weiter steigen.

Jeder Einzelne sollte damit beginnen, seinen Verbrauch von Energie und von mit hohem Energieaufwand hergestellten Gütern einzuschränken. Jeder Unternehmer sollte Produktionsmethoden, die direkt oder indirekt die Atmosphäre belasten, durch weniger belastende ersetzen. Die Bürger der Industrieländer sollten dabei vorangehen.

Es wurde behauptet, dass im übrigen die Regeln des Marktes für eine Verminderung des Ausstoßes an Treibhausgasen sorgen würden. Die Erfahrung zeigt das Gegenteil. Der Markt ist zwar unübertrefflich als Instrument zur Steuerung der Produktion durch die Nachfrage. Aber er nimmt keine Rücksicht auf öffentliche Güter, zu denen auch die Atmosphäre gehört, solange ihre Nutzung nicht als Kostenfaktor in die Kalkulation der Unternehmen eingeht. Hardin hat dies als „Tragödie der öffentlichen Güter“ (The Tragedy of the Commons) beschrieben. Die Marktgesetze führen dazu, dass öffentliche Güter ohne Rücksicht auf ihre Bedeutung für die Gemeinschaft und für künftige Generationen bis zur Neige genützt werden, bis sich die Gemeinschaft auf Regeln für eine nachhaltige Nutzung einigt. Es ist i. d. R. eine Minderheit, die ihren Verbrauch freiwillig einschränkt oder auf schädliche Produktionsmethoden verzichtet. Andere nutzen sogar den dadurch entstandenen Spielraum für ihre eigenen Interessen.

2. Ohne global geltende Regeln geht es nicht

Die Nutzung der öffentlichen Güter bedarf also der Regelung. Handelt es sich um globale Güter, wie das Klima, so müssen die Regeln globale Geltung haben. Regeln zur Verminderung des Ausstoßes von Treibhausgasen werden die Unternehmen zu einer Anpassung ihrer Produktionsmethoden und zur Entwicklung energiesparender Produkte bewegen. Dabei können Marktmechanismen genutzt werden, z. B. der Emissionshandel. Die Einführung einer weltweit geltenden Kohlenstoffsteuer, durch die der CO2 -Ausstoß zum Kostenfaktor würde, stößt auf so viele Hindernisse, dass sie in absehbarer Zeit kaum zu verwirklichen ist.

Heute gibt es aber zwei weitere Gründe für die Notwendigkeit global geltender Regeln zum Schutz des Klimas.

Erstens können bei ihrer Ausarbeitung die ständig erweiterten und vertieften Erkenntnisse der Wissenschaft genützt werden. Es waren ja Wissenschaftler, die auf die Schädigung der Ozonschicht in der Atmosphäre und ihre gefährlichen Folgen hingewiesen und dadurch den Anstoß zu einem Verbot der Fluorkohlenwasser- und anderer die Ozonschicht gefährdender Stoffe gegeben haben. Wissenschaftler haben auch den Zusammenhang zwischen dem Ausstoß von Treibhausgasen und der Erderwärmung erforscht und Szenarien für die weitere Entwicklung entworfen, die als Grundlage für eine neue Regelung zum Schutz des Klimas dienen können.

Zweitens können die Lasten, die sich aus Maßnahmen zum Klimaschutz ergeben, nur durch globale Regelungen auf eine Weise verteilt werden, die als gerecht empfunden wird und die Einschränkungen akzeptabel macht (s. dazu mehr in Teil V ).

3. Spannungen zwischen der globalen Verantwortung und der Souveränität der Staaten

Die bestehende globale Ordnung beruht auf Staaten, die als souverän gelten und in der Regel auf ihrer Souveränität beharren. Nach innen bedeutet dies, dass die Staaten auf ihrem Gebiet die höchste Autorität sind und dass ihnen der Gebrauch von Gewalt vorbehalten ist. Nach außen verleiht die Souveränität Anspruch auf Unabhängigkeit und berechtigt zur Abwehr von Eingriffen von außen. Die Staaten sind nur dem Völkerrecht unterworfen. Nach dem geltenden Völkerrecht entscheiden sie selbst darüber, welche Verträge sie schließen und welchen sie sich anschließen wollen. Sie können – wie es die Mitglieder der EU getan haben – Teile ihrer Souveränität auf gemeinsame Organe übertragen.

Offensichtlich steht der Grundsatz der Souveränität in einem Spannungsverhältnis zu der räumlich und zeitlich erweiterten Verantwortung, die in Teil. III dargestellt wurde. Staaten, die diese Verantwortung nicht anerkennen, können sich der Teilnahme an Verhandlungen über Regelungen zum Schutz der Überlebensbedingungen im allgemeinen und des Klimaschutzes im besonderen entziehen und deren Ergebnisse ablehnen, so dass die vereinbarten Regeln für sie nicht gelten.

Diese Spannung wird auf längere Sicht überwunden werden müssen. Ansätze dafür gibt es bereits in Erklärungen, die nach internationalen Konferenzen im Konsens angenommen wurden. So heißt es in der Stockholmer Konferenz über die menschliche Umwelt vom Juni 1972:
„Die Umwelt des Menschen für die gegenwärtige und künftige Generationen zu verteidigen und zu verbessern ist ein gebieterisches Ziel für die Menschheit geworden...“

Prinzip 2 der Erklärung über Umwelt und Entwicklung (Rio 1992) sagt:
„Die Staaten haben...das souveräne Recht, ihre eigenen Ressourcen entsprechend ihrer eigenen Umwelt- und Entwicklungspolitik auszubeuten und haben die Verantwortung, dafür Sorge zu tragen, dass Tätigkeiten unter ihrer Hoheitsgewalt oder Kontrolle der Umwelt anderer Staaten oder Gebiete jenseits der Grenzen des Bereichs nationaler Hoheitsbefugnisse keinen Schaden zufügen.“

Diese Texte enthalten noch Elemente des alten Denkens. Sie müssen im Licht neuerer Erkenntnisse (s. II.) weiterentwickelt werden. Das Recht zur Ausbeutung von Ressourcen kann nicht gleichrangig neben dem Schutz der Umwelt stehen. Vielmehr hat sich jede wirtschaftliche Aktivität in dem Rahmen zu halten, den das Erdsystem setzt. Auch die nationale Souveränität gibt nicht das Recht, das Erdsystem und insbesondere die Atmosphäre zu schädigen. Daraus folgt die Pflicht, an Regelungen zur Verhinderung solcher Schäden mitzuarbeiten und sie anzuwenden. Wird dies anerkannt, so wird diese Pflicht zu einem allgemeinen Rechtsgrundsatz, der für alle Staaten verbindlich ist. Dies wäre der Kern einer neuen Art von Recht, das man als „globales Überlebensrecht“ bezeichnen könnte.

Den Diskurs über diese Fragen sollten Wissenschaftler und Nichtregierungsorganisationen vorantreiben. Je mehr Unterstützung sie weltweit gewinnen, umso eher werden die Regierungen bereit sein, in den Verhandlungen im Geist der globalen Verantwortung Kompromisse zu schließen, auch sich die Vertreter von spezifischen Interessen dem widersetzen.

V. Empfehlungen für das weitere Vorgehen

Die Zeit ist knapp. Sie ist bisher nicht gut genützt worden. Die Verhandlungen über das Kyoto-Protokoll haben fünf Jahre gedauert. Erst nach weiteren sieben Jahren ist es in Kraft getreten. Wichtige Staaten haben es nicht ratifiziert Die vereinbarte Reduzierung der Emissionen von CO2 sind nur ein allzu zaghafter Anfang. Dabei sind sich die Wissenschaftler einig: Je früher der Ausstoß von Treibhausgasen einschneidend vermindert wird, umso besser ist die Chance, die Erderwärmung bremsen und auf ein hinnehmbares Maß beschränken zu können. Der Zeitraum, der für die laufenden Verhandlungen über eine neue Regelung, angesetzt wurde ist eng und wird nicht weiter verkürzt werden können. Das neue Protokoll muß spätestens 2012 in Kraft treten. Die Zahl der Ratifizierungen, die dafür notwendig sind, sollte so niedrig wie möglich angesetzt werden. Auch sollten sich alle Staaten durch einseitige Erklärungen verpflichten, sich an die neue Regelung zu halten, auch wenn sie die Ratifizierung nicht rechtzeitig vollziehen können.

Die Verteilung der Lasten, die sich aus der neuen Regelung ergeben, wird wieder ein besonders schwieriger Teil der Verhandlungen werden. Das Verursachungs-Prinzip ist bereits im Protokoll von Montreal wie auch im Kyoto-Protokoll implizit anerkannt worden. Es wird auch Grundlage für die neue Regelung sein müssen. Jetzt müssen aber auch die Schwellenländer einbezogen werden. Während die Industrieländer bei der Reduzierung des Treibhausgas-Ausstoßes vorangehen müssen, sollten auch die Schwellenländer Obergrenzen akzeptieren. Das Recht auf Entwicklung kann nicht das Recht umfassen, die Fehler der Industrieländer nachzuahmen, die jetzt als solche erkannt sind. Auf längere Sicht muß sich der zulässige Treibhausgas-Ausstoß an der Bevölkerungszahl der Staaten orientieren. Ein Ausstoß von 2 t pro Kopf und Jahr würde – ein nur noch geringes Bevölkerungswachstum unterstellt- die Erderwärmung voraussichtlich in hinnehmbaren Grenzen halten. Dies ist der gerechteste Verteilungsmodus, dem man sich so rasch wie möglich annähern sollte.

Die Teilnehmer an den Verhandlungen sollten sich auf einige Grundsätze für die künftige Energie-Produktion einigen:
- Die Verminderung des Energie-Verbrauchs hat Vorrang vor der Erschließung weiterer
Energie-Quellen, die z. T. mit neuen Gefahren und Nachteilen verbunden sind.
- Das Potenzial der erneuerbaren Energiequellen, das praktisch unerschöpflich, ist sowie der Kraft-Wärme-Kopplung sollte, sollte mit Vorrang genutzt werden
- Die Staaten sollten sich verpflichten zu verhindern, dass die Produktion von Bio-Energie durch Abholzung von Wäldern zur Gewinnung neuer Anbauflächen erhöht wird. Die bereits vorhandenen Regeln zum Schutz der Wälder, insbesondere des Tropenwaldes, können dafür genützt werden. Dies wäre gleichzeitig ein wichtiger Beitrag zur Erhaltung der Artenvielfalt.
- Es muß verhindert werden, dass die Produktion von Bio-Energie die Nahrungsmittelproduktion verdrängt. Diese Gefahr wird umso größer, je höher der Preis von Rohöl steigt.

Die auf Kernspaltung beruhende Erzeugung von Energie eignet sich nicht als Ersatz für die Energiegewinnung aus Kohlenwasserstoffen. Es ist mit der Zukunftsverantwortung nicht vereinbar, die von der Energiegewinnung aus der Kernspaltung auf unabsehbare Zeit ausgehenden Gefahren – Unfälle, Lagerung von Atommüll - in Kauf zu nehmen. Nur wenn die Umstellung auf klimafreundliche Energieformen energisch betrieben wird, ist die Nutzung von bestehenden Atomkraftwerken mit höchstem Sicherheitsstandard für eine Übergangszeit hinnehmbar.

Durch institutionelle Verbesserungen sollte der Klimaschutz wirksamer gemacht werden. Im Rahmen des VN-Systems könnte das Umweltprogramm (UNEP) gestärkt und zu einer Unterorganisation der VN ausgebaut werden. Diese Organisation sollte ermächtigt werden, selbständig Vorschriften zur Durchführung globaler Regeln, insbesondere über den Klimaschutz, zu erlassen. Eine Alternative könnte die Schaffung einer globalen Organisation sein, welche die gemeinsame Nutzung der Erdatmosphäre regeln würde.

Auch Entwicklungsländer haben in Art. 4 Abs. 1 des Rahmenübereinkommens über Klimaänderung die Pflicht übernommen, Maßnahmen zur Bekämpfung anthropogener Emissionen von Treibhausgasen zu treffen. Dazu gehört die Erhaltung von Kohlenstoffsenken, insbesondere der Wälder. Das Übereinkommen verpflichtet die Staaten, dabei zusammenzuarbeiten. Die Industrieländer haben, die Pflicht, die Entwicklungsländer dabei zu unterstützen, wenn diese aus eigener Kraft dazu nicht in der Lage sind. Diese Pflicht sollte konkreter gefasst werden, als bisher im Kyoto-Protokoll geschehen.

Das Gleiche gilt für Maßnahmen zur Anpassung an Wirkungen der Klimaänderung, insbesondere den Schutz gegen einen zu erwartenden Anstieg des Meeresspiegels. Je später und langsamer der Ausstoß von Treibhausgasen reduziert wird, desto höher wird der Anstieg des Meeresspiegels sein. Die Länder, die vor allem für den Treibhausgas-Anstieg verantwortlich sind, sollten auch die Folgelasten mittragen. Daraus würde sich ein weiterer Anreiz zur Verminderung der Treibhausgase ergeben.

Die Verschlechterung der Bedingungen für die Landwirtschaft durch ansteigende Temperaturen und Verknappung des Wassers könnte in einigen Regionen zu einer Verschärfung bestehender Konflikte und zur Entstehung neuer Konflikte führen. Um ihnen entgegenzuwirken, sollten frühzeitige Konsultationen zwischen den Staaten dieser Regionen ermutigt werden. Sie könnten dadurch unterstützt werden, dass die Entsendung von Wissenschaftlern angeboten wird, um den Teilnehmern Informationen über voraussichtliche Entwicklungen zu vermitteln und sie bei Gegenmaßnahmen zu beraten.

All dies sind schwierige und umfangreiche Aufgaben. Aber sie können gelöst werden, wenn die gemeinsame Verantwortung für die Zukunft der Menschheit anerkannt und im Einklang mit ihr gehandelt wird.