tag:blogger.com,1999:blog-38849719348033823652024-03-13T17:25:37.177+01:00ÜberlebensrechtZur Bedeutung von Regeln zum Schutz der Überlebensbedingungen der MenschheitRudolf Schmidthttp://www.blogger.com/profile/13442429784036063654noreply@blogger.comBlogger13125tag:blogger.com,1999:blog-3884971934803382365.post-40424386080855454152011-10-15T13:38:00.005+02:002011-10-15T13:41:45.365+02:00Stiftung "Überlebensrecht"Im Gedenken an Dr. Rudolf Schmidt wurde die Stiftung "Überlebensrecht" gegründet. Sie widmet sich den Themen, die Dr. Schmidt in diesem Blog behandelt hat.<br /><br />Mehr Informationen unter <a href="http://stiftungen.stifterverband.info/t423_ueberlebensrecht/index.html">http://stiftungen.stifterverband.info/t423_ueberlebensrecht/index.html</a><br /><br />Spenden/Zustiftungen sind jederzeit willkommen!Rudolf Schmidthttp://www.blogger.com/profile/13442429784036063654noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-3884971934803382365.post-30948488738864784502011-04-17T10:56:00.003+02:002011-04-17T10:59:39.111+02:00Nachruf auf Dr. Rudolf SchmidtNachruf des Hans Jonas-Zentrums auf Dr. Rudolf Schmidt, den Inhaber dieses Blogs<br /><br /><a href="http://www.hans-jonas-zentrum.de/down/Nachruf_Schmidt.pdf">http://www.hans-jonas-zentrum.de/down/Nachruf_Schmidt.pdf</a>Rudolf Schmidthttp://www.blogger.com/profile/13442429784036063654noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-3884971934803382365.post-6870267313760442652010-06-06T15:11:00.010+02:002011-10-15T13:38:11.482+02:00Atomwaffen und Zukunft<div style="text-align: left;"><span style="font-weight: bold;">An Wegscheide: Verbreitung oder Abschaffung der Atomwaffen?</span><br /></div><br /><span style="font-style: italic;">Die Langfassung dieses Artikels ist im Juli 2010 in der Zeitschrift SCHEIDEWEGE erschienen.</span><br /><br /><blockquote><span style="font-size:85%;">"Zum Bewusstseinswandel gehört ein tiefer Schreck,<br />dem man, wenn er einmal geschehen ist, nicht mehr<br />entlaufen kann."<br /> Carl Friedrich von Weizsäcker<br /></span></blockquote><br /><span style="font-weight: bold;">Neue Waffen – altes Denken</span><br /><br />Keine Waffe hat die Politik der Staaten, ihre Strategie und die Struktur der internationalen Beziehungen so umgewälzt wie die Atomwaffe. Sie hat auch das Lebensgefühl unserer Epoche verändert: Die Menschheit muss nun mit dem Wissen leben, dass sie die Fähigkeit hat, sich selbst zu vernichten. Wie immer man sich bisher das Ende der Geschichte vorstellte: Dass es durch Selbstvernichtung der Menschheit herbeigeführt werden könnte, ist neu. Diese Gefahr führte auch zu der Scheu, die Atomwaffen nach Hiroshima und Nagasaki nochmals einzusetzen und einen Krieg zu riskieren, der gerade zu diesem Ende führen könnte. Eine Form des Krieges, nämlich der mit Atomwaffen geführte, schien dadurch undenkbar zu werden. Gleichwohl wuchs die Zahl und Zerstörungskraft der Atomwaffen bis zum Ende des Kalten Krieges ungeheuer an. Die Drohung mit ihrem Einsatz wurde zur Grundlage der Strategie.<br /><br />Damit stellt sich ein neues ethisches Problem: Da ein mit Atomwaffen geführter Krieg weltweite Wirkungen hätte, erstreckt sich die Verantwortung derer, die über den Einsatz solcher Waffen zu entscheiden haben, auf den ganzen Planeten. Sie erfasst nicht nur die Objekte, die als Ziele gewählt werden, sondern auch diejenigen, die von der Wirkung der Waffen indirekt betroffen sind, einschließlich der Menschen, deren Heimat unbewohnbar würde oder die – weil ihre Eltern nuklearer Strahlung ausgesetzt waren – mit Missbildungen geboren würden. Sie erstreckt sich also auch weit in die Zukunft.<br /><br />Der Versuch, die Probleme neuer Waffen technisch, also durch neue Waffen zu lösen oder durch neue Techniken zu überwinden – z. B. durch den Aufbau von Raketenabwehr-Systemen – schiebt die Probleme nur hinaus. Abwehr-Systeme sind nicht absolut wirksam und können durch neue Techniken überwunden werden. Vielmehr müssen der Waffentechnik Grenzen gesetzt werden, die sich aus der Verantwortung für den Menschen und seine Zukunft ergeben. Das muss die Bereitschaft einschließen, auch auf die schon vorhandenen Waffen zu verzichten.<br /><br />Gerade weil die Atomwaffen seit 1945 nicht mehr eingesetzt wurden, sind die mit ihrem Einsatz verbundenen Gefahren und die daraus erwachsene neue Verantwortung Vielen nicht mehr bewusst. Die umfassendsten Studien darüber stammen aus den achtziger Jahren des 20. Jh. Dazu kamen in den letzten Jahren Studien über die Wirkungen von Kernexplosionen auf die Atmosphäre. Hier eine kurze Zusammenfassung der Wirkungen:<br /><ul><li>Hitze- und Schockwellen würden Tod und Zerstörung auf einer Fläche von – je nach Sprengkraft und Höhe, in der die Explosion ausgelöst wird – bis zu 500 qkm, also auf dem Gebiet einer Großstadt, bewirken. </li><br /><li>Kernwaffen wirken als Zünder: Der bei der Explosion entstehende Feuerball würde sowohl in städtischen Gebieten wie auch außerhalb Brände von einem noch nie da gewesenen Ausmaß entzünden. Diese Brände würden Fahnen von Rauch und giftigen Chemikalien erzeugen. Ihre kumulative Wirkung in einem Nuklearkrieg könnte das Klima verändern. </li><br /><li>Bei Kernexplosionen auf der Erdoberfläche werden mit dem Feuerball riesige Mengen (in der Größenordnung von 100 000 t pro Megatonne Sprengkraft) Staub, Erdreich und Trümmer in die Luft geschleudert. Die größeren Teilchen, die etwa die Hälfte der Radioaktivität tragen, fallen innerhalb eines Tages wieder auf die Erde und vergiften hunderte von Quadratkilometern. Diese Radioaktivität kann die für Menschen tödliche Dosis überschreiten.</li><br /><li>Bei Kernexplosionen oberhalb der Erdoberfläche würden alle radioaktiven Teilchen in die obere Troposphäre oder in die Stratosphäre geschleudert und zu einem länger dauernden, weltweiten radioaktiven Niederschlag führen. Wie lange diese Teilchen strahlen würden, hängt von der Halbwertzeit der Stoffe ab, aus denen sie zusammengesetzt sind. Erst wenn sie zerfallen sind – was Hunderte von Jahren dauern kann – hört die Strahlung auf. </li><br /><li>Kernexplosionen in der höheren Atmosphäre oder im Weltraum würden einen elektromagnetischen Impuls auslösen, der starke elektrische Ströme erzeugen und elektrische Geräte und Nachrichtenverbindungen auf Gebieten von der Größe eines Kontinents beschädigen könnte.</li></ul><br />Es hat noch keinen Krieg gegeben, in dem von beiden Seiten Kernwaffen eingesetzt worden wären. Es ist offensichtlich, dass in einem solchen Fall innerhalb von kürzester Zeit Entscheidungen getroffen werden müssten, deren Tragweite niemand überblicken könnte. Dazu kommt, dass die Möglichkeiten zur Steuerung des Konflikts nach den ersten Schlägen eingeschränkt würden, weil man erwarten müsste, dass die Beobachtungs- und Kommunikations-Systeme entweder durch einen von Kernwaffen ausgelösten elektrischen Impuls oder durch die Störung von Satelliten lahmgelegt würden. Diese Wirkungen der Kernwaffen machen es zweifelhaft, ob und wann ihr Einsatz ethisch und rechtlich je zu rechtfertigen wäre.<br /><br />Aber diese Waffen existieren weiter und die Zahl der Staaten, die über sie verfügen, wächst an, wenn auch nicht so rasch, wie zunächst befürchtet worden war. Vielleicht noch größer ist das Risiko, dass Atomwaffen in die Hände von Gruppen geraten, die sie als Instrumente des Terrors einzusetzen bereit sind. Die alte Frage der Einhegung von Krieg und Gewalt stellt sich, angesichts dessen, was auf dem Spiel steht, mit neuer Dringlichkeit. In der jetzigen Lage sind zwei Wege erkennbar:<br /><ul><li>Die Fortsetzung des bisherigen Weges mit Tausenden von Kernwaffen in den Händen von immer mehr Staaten und vielleicht auch anderen Gruppen</li><br /><li>Eine Kehre: Die schrittweise Verminderung der Bedeutung und der Zahl der Kernwaffen mit dem Ziel ihrer vollständigen Abschaffung </li></ul> <br />Der erste Weg macht eine fortschreitende Schwächung des Nichtverbreitungs-Regimes unvermeidlich. Wie sollen die Kernwaffenbesitzer begründen, dass sie ihre privilegierte Position auf immer behalten wollen? Wenn sie ihre Sicherheit auf Kernwaffen gründen, warum sollten andere Staaten nicht das gleiche Recht haben? Sobald aber eine kritische Menge von Staaten Kernwaffen besitzt, droht eine beschleunigte Verbreitung, die dann unumkehrbar werden kann. Auch wenn sich alle Kernwaffenbesitzer dazu verpflichten würden, diese Waffen nur zur Abschreckung von einem Kernwaffeneinsatz zu verwenden, wäre äußerst zweifelhaft, ob die Abschreckung funktionieren würde. Die Gefahr eines versehentlichen Einsatzes würde schon nach den Gesetzen der Statistik wachsen, ebenso die Gefahr, dass gewaltbereite nichtstaatliche Gruppen solche Waffen erwerben. Außerdem ist zu befürchten, dass aufsteigende Mächte versuchen würden, durch fortschreitende Rüstung die Parität mit den etablierten Mächten herzustellen. Ob diese dies hinnehmen würden, ist mindestens zweifelhaft.<br /><br />Es muss sich die Einsicht durchsetzen, dass uns die Waffentechnik an einen Punkt geführt hat, an dem die Unterscheidung zwischen Sieg und Niederlage unmöglich, die Verhinderung eines mit Kernwaffen geführten Krieges das überragende gemeinsame Interesse geworden ist. Vier erfahrene ältere amerikanische Staatsmänner haben vorgeschlagen, die Atomwaffen abzuschaffen. Präsident Obama hat dies zum Ziel seiner Politik erklärt. Der VN-Sicherheitsrat hat den Vorschlag unterstützt.<br /><br />Mit seiner Verwirklichung wird eine Umgestaltung des Staatensystems verknüpft sein. In einem System von Staaten, die vereinbart haben, die gefährlichsten Waffen gemeinsam und unter gegenseitiger Überwachung abzuschaffen, kann nicht mehr die Erhaltung der Macht des einzelnen Staates oberste Richtschnur für das politische Handeln sein, sondern die Entwicklung und Erhaltung einer funktionsfähigen globalen Ordnung, die ohne die Drohung mit der Vernichtung des Gegners auskommt. Das Staatensystem begibt sich dadurch auf dem Weg zur Bildung einer Rechtsgemeinschaft, die auch Regeln zum Schutz der gemeinsamen Lebensbedingungen umfassen muss. Die Ausarbeitung, Anwendung und Durchsetzung dieser neuen Kategorie des Rechts würde zur wesentlichen Aufgabe der Staaten werden.<br /><br />Aus den Gefahren, vor denen wir stehen, könnten sich so neue Chancen entwickeln. Diesen Chancen sollte sich nun die internationale Debatte zuwenden.Rudolf Schmidthttp://www.blogger.com/profile/13442429784036063654noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-3884971934803382365.post-58248400639957210632010-05-30T15:45:00.005+02:002010-05-30T16:05:57.427+02:00Das Klima nach Kopenhagen<span style="font-weight: bold;">Das globale Regieren in einer Krise</span><br /><br /><span style="font-weight: bold;">I. Ein doppelter Fehlschlag</span><br /><br />Hoch waren die Erwartungen, die in der Öffentlichkeit an die Konferenz von Kopenhagen geknüpft wurden. Es sollte eine wirksame Regelung zur Stabilisierung des Klimas gefunden werden, ein Ziel, auf das sich die Staaten schon 1992 in der Rahmen-Konvention über Klimaschutz (RKK) geeinigt hatten. Unter den Wissenschaftlern herrschte Konsens darüber, dass im Laufe der Jahrzehnte bis 2020 der Anstieg der Treibhausgas-Emissionen angehalten und eine Verminderung eingeleitet werden muß, wenn eine gefährliche Erwärmung der Erde noch vermieden werden soll. Nicholas Stern bezeichnete die Konferenz deshalb als die bedeutendste internationale Versammlung seit dem Zweiten Weltkrieg.<br /><br />Der erste Schritt zur Durchführung der RKK war das Kyoto-Protokoll, das 1997 unterzeichnet wurde, aber erst 2005 in Kraft trat. Die USA, damals der größte Emittent von Treibhausgasen (THG), hatten es zwar unterzeichnet, aber nicht ratifiziert. Dies war der schwerste Mangel des Protokolls. Aber die darin vorgesehenen Minderungen der THG-Emissionen waren auch offensichtlich nicht ausreichend. Die Erwartungen richteten sich nun auf eine Neuregelung, die Ende 2012 das Kyoto-Protokoll ersetzen sollte. Der Verhandlungs-Prozess begann im Dezember 2007 in Bali. Das Thema wurde aber auch im Kreise der G 8 und mit den Schwellenländern behandelt. Auf der Grundlage des vierten Berichtes des Klimarates von 2007 entwickelte sich eine breite internationale Diskussion, an der sich gerade viele Wissenschaftler beteiligten.<br /><br />Die Konferenz von Kopenhagen erfüllte die hochgespannten Erwartungen nicht. Sie endete mit einem zwiespältigen Ergebnis: Zwar wurde für die weitere Erderwärmung die 2°-Grenze als Leitplanke akzeptiert, aber man konnte sich auf keine einzige Maßnahme einigen, die dazu führen würde, den Ausstoß der THG und damit die wichtigste Ursache der Erderwärmung zu beseitigen. Zwar sollen die Verhandlungen im Herbst 2010 in Cancun fortgesetzt werden. Aber noch zeigt sich kein Weg, auf dem die gegensätzlichen Positionen überwunden werden könnten.<br /><br />Dies ist gleichzeitig eine Krise des globalen Regierens, denn die Staaten haben sich bisher außerstande gezeigt, eine Lösung für das dringendste von vielen globalen Problemen zu finden. Dabei war es gelungen, dieses Problem in einem vereinbarten Verfahren im Klimarat gemeinsam zu untersuchen und ein vorher nie errechtes Maß an öffentlicher Aufmerksamkeit dafür zu gewinnen.<br /><br />Jetzt wird bereits die Frage gestellt, ob man den Versuch einstellen sollte, das Problem durch eine global geltende, bindende Regelung zu lösen. Niemand kann aber bisher einen anderen Weg zeigen, der zu dem Ziel führen würde, die THG-Emissionen so schnell und so weit zu vermindern, dass die Erderwärmung und ihre äußerst gefährlichen Folgen abgewendet werden könnten. Deshalb sollte an dem Ziel einer globalen bindenden Regelung festgehalten werden. Gleichzeitig sollten alle Möglichkeiten genutzt werden, durch pragmatisches Vorgehen praktische Fortschritte zur Verminderung der THG-Emissionen zu erreichen.<br /><br />Die Staaten sind einerseits unentbehrlich für eine Lösung. Andererseits hat Kopenhagen wieder gezeigt, dass viele Regierungen dem, was sie für „nationale Interessen“ ihrer Länder halten, den Vorzug vor der gemeinsamen Lösung gemeinsamer Probleme geben. Nur wenn sich die Einsicht durchsetzt, dass eine Lösung des Klima-Problems nicht nur im langfristigen Interesse aller Staaten liegt, sondern sich auch aus der gemeinsamen Versantwortung für die Zukunft der Erde als dem Lebensraum des Menschen ergibt, wird eine Einigung möglich werden<br /><br /><span style="font-weight: bold;">II. Gegensätzliche Interessen</span><br /><br />Entscheidend für den Fehlschlag der Konferenz war der Gegensatz zwischen den beiden größten Emittenten: USA und China. Zwar war der neue Präsidenten bereit, über eine globale Regelung zu verhandeln. Jedoch zeigte die Behandlung der dem Senat und dem Repräsentantenhaus vorliegenden Gesetzentwürfe, an welche Grenzen sich der Präsident bei den Verhandlungen in Kopenhagen halten musste, wenn er die Ratifizierung eines Abkommens-Entwurfs nicht aufs Spiel setzen wollte. Die amerikanische Verhandlungsposition blieb deshalb weit hinter den Reduzierungen zurück, die nach den Einschätzungen des Klimarats notwendig wären und noch weiter hinter dem, was China und die Entwicklungsländern forderten.<br /><br />Für die chinesische Führung war das Wichtigste, das bisherige Tempo des Wachstums der eigenen Wirtschaft nicht zu gefährden. Die Führung wollte die Armut weiter zurückdrängen und die Unterstützung der neuen Mittelschicht behalten, die vom Wirtschaftswachstum vor allem profitierte. China wusste, dass die Delegation der USA keine Zugeständnisse machen konnte, die es zu eigenen Zugeständnissen gezwungen hätten. Es konnte also die eigene Position mit aller Härte vertreten.<br /><br />USA und China betrachten sich gegenseitig als gefährliche Konkurrenten auf dem Weltmarkt. Deshalb bindet der US-Kongress die Verminderung eigener Emissionen an die Bedingung, dass China ebenfalls Pflichten auf sich nimmt. China befürchtet, dass solche Forderungen gerade dazu dienen, seine Position auf dem Weltmarkt zu schwächen. Nur die EU war zu Emissions-Reduzierungen in einem Maße bereit, das im Rahmen des vom Klimarat für notwendig Gehaltenen lag. Aber sie konnte weder die USA zu einer Verbesserung ihrer Position bewegen, noch China davon überzeugen, dass eine Begrenzung seiner Emissionen notwendig und fair wäre.<br /><br />Die G 77 richtete ihre Forderungen, der eigenen Tradition entsprechend, in erster Linie an die Industrieländer und meinte, an der Seite Chinas solche Forderungen besser durchsetzen zu können. Dies war ein doppelter Irrtum: Die Industrieländer machten zwar, in vager Form, finanzielle Zugeständnisse, erkannten aber nicht die alleinige Verantwortung für die Erderwärmung an. Die ärmeren Entwicklungsländer erkannten nicht, dass die Emissionen der Schwellenländer für sie genauso gefährlich sind wie die der Industrieländer und dass deshalb gerade sie das größte Interesse an einer wirksamen Vereinbarung haben müssten.<br /><br /><span style="font-weight: bold;"><br />III. Die Aufteilung der Staaten in Gruppen</span><br /><br />Das RKK von 1992, über dessen weitere Anwendung in Kopenhagen verhandelt wurde, unterscheidet scharf zwischen entwickelten und Entwicklungs-Ländern. Beide Gruppen trügen – wie es bereits in der Rio-Erklärung über Umwelt und Entwicklung vom 14. Juni 1992 formuliert worden war - gemeinsame, aber unterschiedliche Verantwortlichkeiten. In Rio waren es die Entwicklungs- und besonders die Schwellenländer gewesen, die darauf bestanden hatten, Umweltschutz und Entwicklung in ihrem Zusammenhang zu behandeln. Sie wollten verhindern, dass bindende Vereinbarungen zum Schutz der Umwelt, einschließlich des Klimas, ihren Entwicklungsprozess, über den sie allein bestimmen wollten, hemmen könnten. Deshalb wurde auch, in Grundsatz 2 der Rio-Erklärung das „souveräne Recht“ der Staaten bekräftigt, „ihre eigenen Ressourcen entsprechend ihrer eigenen Umwelt- und Entwicklungspolitik auszubeuten“ Dahinter steht das Konzept einer „nachgeholten Entwicklung“. Dabei scheint das Verständnis von Entwicklung durch den Weg geprägt, den die Industrieländer gegangen sind. Die Entwicklungsländer sollten das Recht haben, zunächst ihren Rückstand gegenüber den Industrieländern aufzuholen und dabei nicht durch Regeln zum Schutz der Umwelt behindert zu werden. Dagegen den Industrieländern die Pflicht auferlegt, die Umweltschäden zu beseitigen, die vor allem sie angerichtet hätten. Daran wurde auch in den Verhandlungen über den Klimaschutz festgehalten.<br /><br />Der Gegensatz zwischen Industrie- und Entwicklungsländern – damals als Nord-Süd-Konflikt bezeichnet - hatte sich in den internationalen Organisationen, vor allem in den VN und in UNCTAD, schon seit dem siebten Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts entwickelt. Die G 77 war gegründet worden, um die Interessen der Entwicklungsländer gemeinsam besser vertreten zu können.<br /><br />Offensichtlich haben sich jedoch in dieser Gruppe seitdem große Änderungen ergeben. Die wirtschaftliche Entwicklung der Schwellenländer hat sie immer weiter von den armen Entwicklungsländer entfernt und den Industrieländern angenähert. Die erfolgreichsten unter ihnen haben inzwischen ein Pro-Kopf-Einkommen, das höher ist als das einiger ärmerer Industrieländer. Angesichts des Wirtschaftswachstums in den Schwellenländern wird sich dieser Prozess fortsetzen. Die Mitglieder der Gruppe der 77 scheinen aber bisher nicht bereit, die Gruppen-Einteilung zu überprüfen, weil sie glauben, als geschlossene Gruppe in der jetzigen Konstellation eine stärkere Position gegenüber den Industrieländern zu haben.<br /><br />Es ist jedoch zweifelhaft geworden, ob das Konzept der „nachgeholten Entwicklung“ durchführbar ist. Der Weg, den die Industrieländer gegangen sind, hat sich als nicht nachhaltig erwiesen. In den Industrieländern selbst verbreitet sich die Einsicht, dass er korrigiert werden muss. Er kann nicht als Muster für die Entwicklung dienen. Das RKK hat eine klare Grenze zwischen Industrieländern, die in Annex 1 aufgezählt wurden, und den übrigen Ländern gezogen.<br /><br />Die ersteren sollen bei der Bekämpfung der Klimaänderungen und ihrer nachteiligen Auswirkungen die Führung übernehmen (Art. 3 Ziff. 1). Beiden Staatengruppen werden dann sehr unterschiedliche Pflichten zugewiesen (Art. 4). Im Kyoto-Protokoll übernahm aber nur ein Teil der entwickelten Staaten die Pflicht, ihren Ausstoß an Treibhausgasen zu reduzieren – den bereits damals erkennbaren Gefahren des Klimawandels wurde es nicht gerecht. Die Hoffnungen richteten sich auf eine neue Regelung, die an seine Stelle treten sollte.<br /><br />Inzwischen hat sich gezeigt, dass die rasche Industrialisierung der Schwellenländer von einer enormen Zunahme des Treibhausgas-Ausstoßes begleitet war. Ein Schwellenland, China, wurde 2007 zum größten Emittenten. Es wurde berechnet, dass seine Emissionen von 2004 bis 2010 um 11 % gewachsen sind, während der IPCC nur 2,5 bis 5% erwartet hatte. Diese Emissionen tragen zu der Klimaänderung bei, unter der gerade die ärmsten Entwicklungsländer am stärksten zu leiden haben.<br /><br />Die Position, die China und die G 77 in Kopenhagen vertreten haben, läuft darauf hinaus, dass die Industrieländer ihre Emissionen so weit reduzieren müssen, dass für die Emissionen der Entwicklungs- und Schwellenländer Raum geschaffen und trotzdem die Gesamtmenge der globalen Emissionen soweit vermindert wird, dass eine Erderwärmung von mehr als 2° vermieden werden kann. Was würde dies praktisch bedeuten? Ein Beispiel macht dies anschaulich: Würde China seine Emissionen in dem bisherigen Tempo weiter steigern, so müssten die Industrieländer, allein um die globalen Emissionen stabil zu halten, ihre Emissionen um die Menge zu reduzieren, die den jetzigen jährlichen Emissionen Deutschlands entspricht. Auch wenn man diese Forderung für gerecht hält: Praktisch durchführbar ist sie offensichtlich nicht.<br /><br />Das bedeutet: Das Klimaproblem ist nicht lösbar, wenn die Schwellenländer nicht bereit sind, ihre Emissionen ebenfalls zu begrenzen. Dass die Industrieländer dabei vorangehen und einen wesentlich höheren Beitrag leisten müssen, ist unbestritten.<br />Die Reduzierung der Emissionen von Treibhausgasen ist aber nur ein Mittel, um deren Ansammlung in der Atmosphäre zu verhindern. Nur zwei Drittel des CO2, das vom Menschen erzeugt wird, gelangen in die Atmosphäre. Das restliche Drittel wird auf natürliche Weise auf der Erdoberfläche absorbiert, der größte Teil davon durch die Ozeane, der Rest auf dem Festland, und hier vor allem durch die tropischen Wälder. Die Schwächung der Absorption durch den Menschen trägt ebenso zur Konzentration der Treibhausgase in der Atmosphäre bei wie die Emissionen. Das gilt vor allem durch das Abbrennen von Tropenwäldern, das immer noch praktiziert wird und das nicht als nachhaltiger Gebrauch nationaler Ressourcen betrachtet werden kann. Es erzeugt nicht nur riesige Mengen von CO2, sondern vernichtet für immer die Absorptionsfähigkeit dieser Wälder. Es ist bekannt, dass das Land, das auf diese Weise gewonnen wird, nur für wenige Jahre landwirtschaftlich genutzt werden kann, weil die Humusschicht nicht stark genug ist.<br /><br />Der Klima-Schutz eignet sich nicht als Feld, auf dem die Benachteiligung der Entwicklungsländer in der Vergangenheit ausgeglichen werden könnte. Es geht vielmehr um die Sicherung der gemeinsamen Zukunft.<br /><br />Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) hatte ein Modell für das Vorgehen bis 2050 entwickelt Er geht von einem Gesamtbudget der Emissionen aus, die noch möglich sind, wenn die Emissionen bis 2050 auf eine klimaverträgliches Maß reduziert werden sollen. Diese Budget wird über den Pro-Kopf-Schlüssel gleichmäßig au die Staaten der Erde verteilt. Damit ist ein finanzieller Ausgleich zwischen Nord und Süd verbunden. Die Transferleistung dienen in erster Linie der Finanzierung von Anpassungsmaßnahmen sowie der Bewahrung von Kohlenstoffsenken. Ein solcher Ansatz setzt offenbar umfassende, sehr ins Einzelne gehende, rechtlich bindende Regelungen voraus, auf die man sich in Kopenhagen nicht einigen konnte.<br /><br />Das Ziel der Entwicklung kann nicht mehr die Industrialisierung in der Form sein, in der sie in den jetzigen Industrieländern vollzogen wurde. Vielmehr müssen neue Formen des Wirtschaftens entwickelt werden, die zu einer raschen und einschneidenden Reduzierung der THG-Emissionen und anderer Schädigungen der Umwelt führen. Nur eine solche Form der Industrialisierung würde auch dem Ziel der „nachhaltigen Entwicklung“ entsprechen, das 1992 in der Erklärung von Rio proklamiert wurde. Im Potsdam-Memorandum vom Oktober 2007 haben angesehene Wissenschaftler diese „große Transformation“(ein von Karl Polanyi geprägter Begriff) beschrieben. Dazu mehr in Abschn. VI.<br /><br /><span style="font-weight: bold;">IV. Wachsende Gefahren</span><br /><br />Die Erderwärmung beschleunigt sich. 2007 war – zusammen mit 1998 – das zweitwärmste Jahr seit Beginn der Messungen. Die durchschnittliche Erdtemperatur war fast 0,6 ° C höher als der Durchschnitt zwischen 1951 und 1980.und lag mehr als 0,8° C über dem Durchschnitt zwischen 1881 und 1910. Die Weltorganisation für Meteorologie betrachtet die Zeit von 1998 bis 2007 als das wärmste Jahrzehnt seit Beginn der Messungen.<br /><br />Dem entspricht der Anstieg der Konzentration von CO2 in der Atmosphäre. Selbst wenn die Emissionen in einem nicht zu erwartenden Idealfall nicht mehr stiegen, wäre eine weitere Erwärmung wegen der Trägheit des Klimasystems unvermeidlich. CO2 bleibt 50 bis 200 Jahre in der Atmosphäre. Das bedeutet, dass Emissionen von THG noch jahrzehntelang als Ursache für die Erderwärmung wirken.<br /><br />Das Erdklima nähert sich den Kipp-Punkten, an denen sich die Erwärmung in nicht mehr zu beherrschendem Maß beschleunigen könnte:<br /><br /><ul><li>Fast alle Gletscher der Welt befinden sich in einem schnellen Rückzug. Die arktische Eisbedeckung hat sich in den vergangenen 30 Jahren um etwa 30% verringert. Wissenschaftler sagen ein völliges Verschwinden des arktischen Sommer-Eises bis 2030 voraus. Eisfreie Oberflächen nehmen viel mehr Sonnenwärme auf als mit Eis bedeckte Flächen. Dadurch beschleunigt sich die Erwärmung, die ihrerseits zu noch schnellerem Abschmelzen des Eises führt. Würde das Grönland-Eis völlig abschmelzen, so wäre ein Anstieg des Meeresspiegels um 7 m zu erwarten.</li><li>Das Schmelzen des Perma-Frostes in der Tundra würde große Mengen Methan freisetzen, einem besonders wirksamen Treibhaus-Gas. Seine Konzentration in der Atmosphäre würde den Treibhaus-Effekt verstärken und die Erwärmung beschleunigen.</li><li>Die Erwärmung der Ozeane würde ihre Fähigkeit zur Absorption von CO² vermindern, so dass sich ein größerer Teil der Emissionen in der Atmosphäre ansammeln würde. So würde auch die Schädigung der Wälder durch erhöhte Temperaturen und Wasserknappheit wirken.<br /></li></ul><br />Würden diese Kipp-Punkte überschritten, so wäre die Erderwärmung, wenn überhaupt, nur noch mit viel größeren Anstrengungen und Opfern zu beherrschen. Deshalb ist es wichtig, so bald wie möglich, jedenfalls aber im Laufe dieses Jahrzehnts, mit strikten Begrenzungen und einschneidenden Verminderungen der Emissionen zu beginnen.<br /><br /><span style="font-weight: bold;">V. Bewahrung des Erdsystems</span><br /><br />Der Klima-Schutz ist Teil einer viel größeren Aufgabe, der Bewahrung des Erdsystems als Grundlage des Lebens, auch des menschlichen Lebens. Bedeutung und Umfang dieser Aufgabe werden zwar immer mehr erkannt und von Vielen auch anerkannt. Aber die Aufgabe steht in einem Konflikt mit dem Anspruch der Staaten auf Souveränität und mit dem herkömmlichen Verständnis des Wirtschaftswachstums als Ziel der Wirtschaftspolitik.<br /><br />Dass die Ausbeutung der Erde an Grenzen stößt, war eine Erfahrung, die man auf lokaler und regionaler Ebene immer wieder gemacht hatte. Gesellschaften, die sich dieser Erfahrung verschlossen, gingen zugrunde. Hardin hatte gezeigt, dass sich die Nutzer eines Ökosystems auf Regeln einigen müssen, die eine Erhaltung des Systems erlauben . Neu ist die Erkenntnis, dass die Erde als Ganze ein System darstellt, das sich selbst in einem komplexen Zusammenspiel vieler Faktoren in einem Gleichgewicht hält, das auch die Lebensbedingungen des Menschen bewahrt. Der Mensch aber hat, nachdem er seine Fähigkeiten durch die Technik vervielfacht hatte, bereits begonnen, dieses System zu stören. Er könnte es zerstören , wenn er nicht bereit ist, sein Verhalten daran anzupassen. Matthis Wackernagel hat dafür einen Maßstab entwickelt: Den Fußabdruck des Menschen, der zeigt, wie viele der vorhandenen Ressourcen der Mensch bereits verbraucht hat. Schon jetzt ist der Fußabdruck größer ist als die Erde, auf der wir leben. Es bleibt also nicht viel Zeit für die Anpassung.<br /><br />Die Verletzlichkeit der Atmosphäre, eines wesentliche Teils des Erdsystems, zeigte sich bereits in den letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts. Die Ozonschicht, die einen Teil der ultravioletten Strahlen der Sonne ausfiltert und dadurch gesundheitliche Schäden bei Menschen und Tieren verhindert, wies über der Antarktis ein wachsendes Loch auf. Forschungen wiesen darauf hin, dass einige Industriegase, die Fluorkohlenwasserstoffe, dafür die Ursache waren. Zur Lösung dieses Problems wurden Regelungen neuer Art getroffen, Mit dem Wiener Abkommen zum Schutz der Ozonschicht (1985) und dem Protokoll von Montreal (1987) wurden neue Wege beschritten. Als Anlass zum Handeln genügte, dass menschliche Tätigkeit die Ozonschicht wahrscheinlich verändere und damit die menschliche Gesundheit wahrscheinlich gefährde. Damit wurden das Vorsorgeprinzip und der Schutz des Erdsystems zum ersten mal in bindendes Recht umgesetzt. Die Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen, sollen vollständig beseitigt werden. Die Industriestaaten sollten dabei vorangehen. Den Entwicklungsländern wurden längere Fristen für die Beseitigung der gefährliche Stoffe eingeräumt, aber auch sie übernahmen diese Verpflichtung.<br /><br />Beim Schutz des Klimas hat sich die Mehrheit der Entwicklungs- und vor allem der Schwellenländer dazu bisher nicht bereit gezeigt. Die Weiterentwicklung des neuen Rechts, das dem Schutz des Erdsystems dient, ist dadurch ins Stocken geraten. Dies ist beunruhigend, weil andere Gefährdungen des Erdsystems bereits sichtbar sind und dringend einer Lösung bedürfen.<br /><br />Eine dieser Gefahren ist die Verknappung des nutzbaren Wassers durch den Rückgang der Niederschläge in einigen Regionen als Folge des Klimawandels und den gewaltigen Anstieg des Wasserverbrauchs durch die wachsende Erdbevölkerung, durch die Industrie wie auch die Landwirtschaft. Der Wasserkreislauf hält sich nicht an staatliche Grenzen. Er wird durch globale oder regionale Regeln geschützt werden müssen. Die Bereitschaft, das Erdsystem durch bindende Regeln zu schützen ist im wahren Sinn des Wortes eine Überlebensfrage.<br /><br /><span style="font-weight: bold;"><br />VI. Überlegungen zum weiteren Vorgehen</span><br /><br />1. Das Bemühen, eine Einigung auf globale bindende Regeln um Schutz des Klimas zu erreichen, muss fortgesetzt werden. Die Pflicht dazu ergibt sich aus der gemeinsamen Verantwortung, die in den Erklärungen von Stockholm (1972) und Rio (1992) anerkannt wurde und auch der Rahmenkonvention über Klimaänderungen zugrunde liegt.<br /><br />2. Die Blockierung, die sich bei der Kopenhagen-Konferenzgezeigt hat, kann nur überwunden werden, wenn die Destabilisierung des Klimas als Teil eines viel umfassenderen Problems erkannt und anerkannt wird: Darüber scheint mit China und der Entwicklungsländern zu wenig gesprochen worden zu sein.Es geht um die Erhaltung der Bedingungen für das Leben, auch des menschlichen Lebens, durch die Anpassung der Lebens- und Wirtschaftsweise des Menschen an das natürliche Erdsystem, das die Lebensbedingungen bisher erhalten hat. Dieses System wird durch die Lebens- und Wirtschaftsweise gefährdet, die sich im Laufe der Industrialisierung in einigen Ländern entwickelt hat. Die große Aufgabe ist nun, diese Lebens- und Wirtschaftsweise so zu transformieren, dass die natürliche Stabilisierung durch das Erdsystem nicht mehr gefährdet wird. Die Gefährdung des Klimas ist die akuteste Gefahr Ihre Vermeidung ist auch deshalb am dringlichsten, weil sich aus dem Klimawandel andere Probleme ergeben: Verknappung des Wassers in einigen Regionen, Überschwemmungen in anderen, Häufung von Katastrophen wie z.B. Wirbelstürme. Die Folgen des Klimawandels treffen die ärmeren Völker besonders stark und verschärfen das Problem der Armut, das im Rahmen der Transformation ebenfalls zu lösen ist.<br /><br />3. Ziel der Transformation ist die Entwicklung von nachhaltigen Lebens- und Wirtschaftsformen und die Versorgung der wachsenden Erdbevölkerung mit den lebensnotwendigen Gütern und Diensten. Über den Grundsatz der Nachhaltigkeit besteht bereits Konsens, nicht aber über die Folgen, die sich daraus ergeben. Sie werden ein Thema der VN-Konferenz über nachhaltige Entwicklung sein, die 2012 in Rio de Janeiro abgehalten werden wird („Rio plus 20“).<br />Der Bericht der Weltkommission über Umwelt und Entwicklung (Brundtland-Kommission) von 1987 war ein wichtiger Beitrag zur Diskussion über die Nachhaltigkeit. Seitdem haben sich jedoch so viele neue Probleme gezeigt, dass zu überlegen ist ob eine neue Kommission eingesetzt werden sollte, um zu untersuchen, wie die notwendige Transformation gestaltet werden sollte.<br />Sie bedeutet für verschiedene Gruppen von Ländern offensichtlich Verschiedenes:<br />Die Industrieländer haben ihre Wirtschaft so umzubauen, dass sowohl der Verbrauch von Ressourcen wie auch die Belastung der Umwelt vermindert werden. Das schließt eine Änderung des Lebensstils ein. Die ärmeren Entwicklungsländer haben die Chance, ihre Entwicklung am Grundsatz der Nachhaltigkeit zu orientieren. Sie sollten dabei unterstützt werden, sowohl durch finanzielle Mittel wie auch durch die Vermittlung von Kenntnissen und Erfahrungen. Die Schwellenländer sollten den Fehler vermeiden, eine Wirtschaft aufzubauen, von der sich bereits gezeigt hat, dass sie nicht nachhaltig ist, und den Schutz der Umwelt auf später zu verschieben.<br /><br />4. Da der Klima-Schutz das dringendste Problem ist, sollten im Prozess der Transformation die Maßnahmen Vorrang erhalten, die dem Klima-Wandel entgegenwirken. Dazu gehören:<br />- Energie-Einsparung und Verbesserung der Energie-Effizienz<br />- Entwicklung von alternativen Methoden der Energie-Erzeugung<br />- Schutz tropischer Wälder als Kohlenstoff-Senken<br />- Anreize für eine Verminderung der THG-Emissionen<br />Es zeigt sich, dass solche Anreize nur im Rahmen von global geltenden Regeln wirksam sein können. Sie bilden dann eine feste Planungsgrundlage auch für Unternehmen. Ein besonders wirksamer Anreiz wäre ein globaler Handel mit Emissionsrechten. Seine Einführung setzt aber voraus, dass jedem Staat ein fester Betrag von Emissionsrechten zugeteilt wird, der sich an der Bevölkerungszahl orientiert. Die entwickelten Länder müssten Rechte zukaufen, wenn sie die zugeteilten Rechte überschreiten wollen. Für die ärmeren Länder wäre der Verkauf von Emissionsrechten eine sichere Einkommensquelle – eine Chance, die viele von ihnen noch nicht in Betracht gezogen haben scheinen.<br /><br />5. Für eine Lösung des Klima-Problems auf lange Sicht haben sich die Staaten in Kopenhagen auf das Ziel geeinigt, die Erwärmung der Erde unter 2° zu halten. Dem würde eine Begrenzung der THG-Emissionen auf das Äquivalent von 2 t CO2 pro Kopf und Jahr entsprechen. Letzten Endes muss sich die Verteilung der Emissionsrechte daran ausrichten. Ob darüber bei der Konferenz in Cancun eine Einigung zu erzielen ist, erscheint mindestens zweifelhaft.<br /><br />6. Wichtig ist aber, dass noch im Laufe dieses Jahrzehnts der Zuwachs von Emissionen endet und die Verminderung beginnt. Die Industrieländer werden dazu den größten Beitrag leisten müssen. Aber ohne Beteiligung der Schwellenländer ist, wie in Abschn. IV ausgeführt, das Ziel nicht zu erreichen. Jedenfalls die Länder, deren Emissionen pro Kopf bereits jetzt über der Zielgröße von 2 t pro Kopf liegen, sollten bereit sein, den Anstieg zu begrenzen.<br />Unverzüglich sollten wirksame Maßnahmen zur Erhaltung der Kohlenstoff-Senken getroffen werden. Arme Länder, auf deren Gebiet tropische Wälder liegen, sollten bei ihrer Erhaltung unterstützt werden.<br /><br />7. Eine Konferenz über ein so komplexes Thema zu leiten, stellt an den Vorsitzenden hohe Anforderungen. Seine Aufgabe könnte erleichtert werden, wenn ihm eine Gruppe von sachkundigen und unabhängigen Persönlichkeiten zur Seite gestellt würde, die vermittelnde Gespräche führen und Text-Entwürfe vorbereiten könnte.Rudolf Schmidthttp://www.blogger.com/profile/13442429784036063654noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-3884971934803382365.post-82655373141957310512009-11-09T19:59:00.002+01:002013-11-08T06:10:58.033+01:00One World - Bemerkungen zu dem Buch von Peter SingerPeter Singer wollte mit seinem 2002 erschienen Buch „One World“ eine Ethik der Globalisierung schreiben. Er gilt als einer der umstrittensten, aber auch der einflussreichsten Philosophen englischer Sprache der Gegenwart. Sich mit ihm zu beschäftigen, lohnt sich.<br />
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Singer will, wie er im Vorwort zur ersten Auflage seines Buches schreibt, die zunehmende Verflechtung (interconnectedness) des Lebens auf unserem Planeten beschreiben und in einem zweiten Schritt ein Rezept (prescription) für eine neue Grundlage unseres Denkens anbieten.<br />
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Singer versucht nicht, den viel gebrauchten Begriff der Globalisierung zu definieren, sondern erwähnt Beispiele für den globalen Wandel, den wir erleben – von der globalisierten Wirtschaft über den Klimawandel bis zu humanitären Interventionen und dem Kampf gegen globalen Terrorismus. Er erwartet, dass die neue Interdependenz die materielle Basis für eine neue Ethik liefert. Wenn die Revolutionierung der Nachrichtenverbindungen ein „globales Auditorium“ schaffe, könnten wir uns gedrängt fühlen, unser Verhalten gegenüber der ganzen Welt zu rechtfertigen. Letztlich postuliert Singer die Bildung einer Weltgemeinschaft, die an die Stelle der Staaten treten soll. Er zeigt zwar einige Ansätze dafür, aber es gelingt ihm nicht, die tiefe Kluft zwischen dem Verhalten der Staaten und ihrer Ersetzung durch eine Weltgemeinschaft zu überbrücken.<br />
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Allerdings gelingt es Singer, zu zeigen, dass das System souveräner Staaten nicht geeignet ist, die globalen Probleme zu lösen: Auf wirtschaftlichem Gebiet ist die Souveränität der Staaten tatsächlich durch die neue Beweglichkeit des Kapitals eingeschränkt. Die Staaten müssen ihre Politik darauf ausrichten, dem Kapital günstige Bedingungen anzubieten, um das vorhandene Kapital festzuhalten und neues anzuziehen. Die Finanzkrise der letzten Jahre, die Singer nicht voraussehen konnte, hat aber gezeigt, dass der freie Markt keineswegs ein sich selbst steuerndes stabiles System bildet, sondern für Krisen anfällig ist, die sich mit rasender Geschwindigkeit ausbreiten. Kein einzelner Staat kann sie bewältigen. Nur weltweit geltende Regeln könnten einen gewissen Schutz bieten. Ob es gelingen wird, solche Regeln zu entwickeln und ob sich die Staaten darauf einigen können, ist immer noch eine offene Frage.<br />
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In dem Kapitel „One Law“ will Singer zeigen, dass die staatliche Souveränität den Regierungen nicht das Recht gibt, mit ihrer eigenen Bevölkerung nach Belieben zu verfahren. Völkermord und Verbrechen gegen die Menschheit sind durch internationale Abkommen verboten. Diese Verbote müssen auch durch Intervention durchgesetzt werden. Dies ist in einigen Fällen auch geschehen, in anderen – z. B. in Ruanda – nicht. Es besteht ein doppeltes Problem: Wie ist zu verhindern, dass humanitäre Gründe nur als Vorwand benützt werden, um eine Intervention zu rechtfertigen? Wie können die Staaten dazu bewogen werden, Streitkräfte und finanzielle Mittel für eine humanitäre Intervention in einem Land bereitzustellen, in dem sie keine anderen Interessen haben? <br />
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Auf einer anderen Ebene liegt ein Problem, das Singer unter der Überschrift „One Atmosphere“ behandelt. Er stellt in diesem Kapitel die Gefährdung der Atmosphäre durch die enorm gesteigerte Emission von Treibhausgasen dar. Es geht aber nicht nur um das Klima, sondern um das Erdsystem als ganzes, von dessen Bewahrung die Lebensbedingungen für die Menschheit abhängen. Dass der Mensch durch Wissenschaft und Technik die Fähigkeit erworben hat, das Erdsystem zu stören und sogar zu zerstören, ist etwas Neues in der Geschichte, das uns zwingt, unser Verhalten zu ändern. Daraus ergibt sich der stärkste Impuls für die Entwicklung einer neuen Ethik. Hans Jonas, den Singer nicht zitiert, hat in seinem Buch „Das Prinzip Verantwortung“ einen Versuch einer Ethik für die technische Zivilisation vorgelegt. Er liefert eine feste Grundlage für diese Ethik, die man bei Singer vermisst.<br />
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Singers Rezept einer Weltgemeinschaft hat vor allem zwei Schwächen: <br />
- Er begründet nicht, warum jeder Einzelne sich künftig mit der Weltgemeinschaft und nicht mit dem eigenen Staat identifizieren, und warum er sich für sie verantwortlich fühlen sollte. Jonas liefert diese Begründung. Sie ergibt sich aus seinem Imperativ „Handle so, dass die Wirkung deiner Handlung verträglich ist mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden“.<br />
- Singer zeigt auch weder einen praktischen Weg zu der postulierten Weltgemeinschaft, noch beschreibt er ihre mögliche Struktur.<br />
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Dagegen bietet die Weiterentwicklung des Rechts die Möglichkeit, die Souveränität der Staaten schrittweise einzuschränken und die Lebensbedingungen der Menschheit zu schützen. Dadurch wird die Verbindung zwischen Recht und Ethik, die früher durch das Naturrecht gegeben war wieder hergestellt. Es sind vor allem zwei ethische Prinzipien, an die das Recht gebunden ist: Die Würde des einzelnen Menschen, aus der sich die Menschenrechte ergeben, und, damit eng verbunden, die Pflicht zur Bewahrung der Lebensbedingungen der Menschheit entsprechend dem von Jonas entwickelten Imperativ. Die rechtlichen Regeln, die auf diesem Imperativ beruhen, könnte man „Überlebensrecht“ nennen. Dazu gehören die Regeln zum Schutz der Atmosphäre und anderer gemeinsamer Güter, wie dem Wasser. Dazu gehört aber auch die Abschaffung von Waffen, durch deren Einsatz die Lebensbedingungen gefährdet würden, wie die Kernwaffen.<br />
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In meinem Essay <a href="http://ueberlebensrecht.blogspot.com/search/label/Ueberlebensrecht">„Überlebensrecht“</a> habe ich das näher ausgeführt.Rudolf Schmidthttp://www.blogger.com/profile/13442429784036063654noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-3884971934803382365.post-48889498475934085882009-05-28T19:09:00.005+02:002009-05-28T19:33:10.364+02:00Gute und schlechte Atombomben?<span style="font-weight:bold;">Buchrezension: Michael Rühle, "Gute und schlechte Atombomben: Berlin muss die nukleare Realität mitgestalten", Edition Körber Stiftung 2009<br /></span><br />Selten sind politische Betrachtungen so schnell unzeitgemäß geworden wie diejenigen, die Michael Rühle in seinem kleinen Buch mit dem – wohl provozierend gemeinten – Titel „Gute und schlechte Atombomben“ angestellt hat. Er warnt darin die deutsche Öffentlichkeit, die – wie er meint – von einer sicherheitspolitischen Gegenelite fehlgeleitet wird, Atombomben als schlechthin böse zu verstehen. Sie seien vielmehr „der ultimative Ausdruck staatlicher Souveränität“. Eine globale Ordnungsmacht wie die USA könne auf nukleare Drohungen – zumindest rhetorische (!) – nicht verzichten.<br /><br />Das Buch war kaum erschienen, als der Präsident der „globalen Ordnungsmacht“ erklärte, die USA wollten Friede und Sicherheit ohne Kernwaffen herstellen. Und das war nicht nur Rhetorik: Obama beschrieb in seiner Rede in Prag auch die ersten Schritte auf dem Weg, den die USA auf dieses Ziel hin gehen wollen.<br /><br />Wenn Rühle eine so deutliche Erklärung von Obama – wie es scheint – nicht erwartet hat, so gibt es dafür einen Grund: Er hat – wie leider viele Strategie-Experten – eine Seite der Diskussion über Kernwaffen einfach nicht zur Kenntnis genommen, die seit langem auch in den USA geführt wurde: Die Entwicklung der Kernwaffen war immer von der Frage begleitet, ob Waffen dieser Art wirklich eingesetzt werden dürfen. Diese Frage wurde zunächst von Wissenschaftlern aufgeworfen, die an der Entwicklung dieser Waffen beteiligt waren. Die Bedenken standen auch hinter dem Angebot der USA von 1946, die Kernwaffen zu internationalisieren. Sie traten in den Hintergrund, nachdem die Sowjetunion ebenfalls Atomwaffen erworben hatte. Sie tauchten wieder auf, als man vor der Entscheidung stand, Wasserstoffbomben mit einer tausendfach stärkeren Wirkung zu bauen. Sie führten den sowjetischen Wissenschaftler Sacharow auf den Weg zum Dissidenten. Die Bedenken wurden aber auch von einem amerikanischen Präsidenten geteilt, von dem man dies nicht erwartet hätte: Reagan glaubte nicht an die Logik der Abschreckung. Er ließ sich allerdings von seinen Experten zu einer technischen Alternative verleiten: Eine wirksame Raketenabwehr sollte die Kernwaffen obsolet machen. Das erwies sich freilich als Illusion: Es gibt auch heute, ein Vierteljahrhundert später, noch keine zuverlässigen Abwehrsysteme. Das Problem ist technisch nicht lösbar. <br /><br />Kissinger, Shultz, Perry und Nunn waren nicht die Ersten, die aus ihren Erfahrungen den Schluß zogen, man könne die Risiken der nuklearen Abschreckung nicht für immer hinnehmen. Rühle scheint nur die Experten zu kennen, die – wie er selbst – meinen, das nukleare Gleichgewicht im Kalten Krieg habe für „nahezu perfekte Sicherheit“ gesorgt. Hat er sich nie mit den Krisen beschäftigt, die an den Rand eines Nuklearkrieges führten? Hat er die Fälle nicht zur Kenntnis genommen, in denen eine falsche Interpretation von Daten oder ein Versagen von Sicherungssystemen gerade noch rechtzeitig vor dem Einsatz von Kernwaffen korrigiert werden konnten? Hat er die Studien über die Wirkung von Nuklearkriegen gelesen? In seinem Buch schweigt er dazu.<br /><br />Rühle schildert ausführlich die Gefahren der Verbreitung von Kernwaffen. Niemand wird sie bestreiten. Aber hat er die Motive für den Versuch mehrerer Staaten, Kernwaffen zu erwerben, richtig verstanden? Wie kann er einerseits die Kernwaffen als „ultimativen Ausdruck staatlicher Souveränität“ bezeichnen und die nukleare Abschreckung als Weg zu einer fast perfekten Sicherheit bezeichnen und andererseits den „Habenichtsen“ den Zugang zu diesen Waffen verwehren wollen? Er irrt, wenn er meint, die Abrüstungsklausel im Nichtverbreitungsvertrag sei erst in jüngster Zeit entdeckt und von einigen Staaten als Vorwand zur Rechtfertigung ihrer eigenen Rüstungsanstrengungen benützt worden. Ohne diese Klausel wäre der Vertrag nicht geschlossen worden. Er wäre 1995 auch nicht auf unbegrenzte Zeit verlängert worden, wenn damals nicht die Hoffnung bestanden hätte, dass USA und Russland nach dem Ende des Kalten Krieges mit der Abrüstung wirklich ernst machen würden. Nur diese Erwartung machte es für viele Habenichtse erträglich, die Benachteiligung gegenüber den Nuklearstaaten weiter hinzunehmen. <br /><br />Die Kluft zwischen den beiden Gruppen wird zugeschüttet werden müssen. Dafür gibt es zwei Wege: Entweder immer mehr Habenichtse erwerben Kernwaffen, oder die Kernwaffenstaaten zeigen sich bereit, ihre Privilegien allmählich abzubauen. Diesen Weg will Obama gehen. Je mehr Unterstützung er dafür bekommt, umso größer ist die Chance, auf diesem Weg voranzukommen. <br /><br />Rühle schildert die Schwierigkeiten dieses Weges und sie sind tatsächlich groß. Sie könnten sogar größer werden, je mehr man sich dem Ziel nähert. Rühle bezeichnet das Konzept der „nuklearen Totalabrüstung“ als „zutiefst tautologisch“, weil es nur unter Bedingungen erreichbar sei, die einen Nuklearwaffenbesitz ohnehin überflüssig machen. Was ist daran tautologisch? Das Ziel ist eines, die Wege dorthin konvergieren. In der Tat wird der fortschreitende Abbau von Kernwaffen immer größere Transparenz, also immer wirksamere Überwachung erfordern Aber diese wird eher akzeptabel, wenn sich ihr auch die Kernwaffenstaaten unterwerfen. Fordern nicht auch die technische Entwicklung und die wirtschaftliche Interdependenz immer größere Transparenz? Sie kann gleichzeitig die Vorbereitung von Kriegen erschweren. Sie wird auch die Möglichkeiten steigern, durch internationale Zusammenarbeit terroristische Organisationen zu überwachen und ihre Aktionen zu verhindern.<br /><br />Rühle hat Recht: Wir brauchen eine tabufreie Sicherheitsdebatte. Aber sie muß so breit wie möglich geführt werden. In einer Demokratie kann sie nicht – wie er meint - eine Domäne der Elite bleiben.<br /><br />Schließlich fragt sich der Leser von Rühles Schrift: Bleibt er bei seiner Forderung eines Schulterschlusses mit den USA? Dann wird er nach der Prager Rede Obamas seinen Standpunkt ändern müssen.Rudolf Schmidthttp://www.blogger.com/profile/13442429784036063654noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-3884971934803382365.post-33071701992164153892009-02-14T14:19:00.003+01:002009-02-14T14:31:15.041+01:00Einstein und die Atombombe<span style="font-weight:bold;">Einsteins Brief an Präsident Roosevelt vom 2. August 1939 und sein Engagement gegen den Krieg</span><br /><br />Vor siebzig Jahren, am 2. August 1939, unterschrieb Albert Einstein - in Ulm geboren, aber damals bereits in den USA heimisch geworden - einen Brief an Präsident Roosevelt und bewog ihn damit, erste Schritte zur Entwicklung einer Atombombe anzuordnen. Im Januar 2007 traten vier prominente Amerikaner (George P. Shultz, William P. Perry, Henry A. Kissinger – ebenfalls ein Emigrant aus Deutschland – und Sam Nunn), mit dem Vorschlag hervor, alle Kernwaffen abzuschaffen. Darüber wird jetzt diskutiert: Grund genug, sich daran zu erinnern, wie die Geschichte der Kernwaffen vor siebzig Jahren begann.<br /><br />Einstein hatte in den ersten Jahren des 20. Jh. mit einigen Arbeiten zur theoretischen Physik, die er neben seiner beruflichen Tätigkeit am Schweizer Patentamt verfasste, die Physik völlig umgewälzt – eine Leistung, für die er 1921 den Nobel-Preis erhielt. 1914 wurde er an die Preußische Akademie berufen und später zum Leiter des Physikalischen Instituts der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft ernannt. Das bescheidene Haus in Caputh an den Havel-Seen, das er damals baute, und sein kleines Segelboot boten ihm Ruhe und Erholung. Was ihn befähigte hatte, über die herkömmliche Physik hinauszugehen und ganz neue Wege zu beschreiten, war eine Eigenschaft, die er selbst als Neugier bezeichnete, und seine ständige Bereitschaft, auch das in Frage zu stellen, was den Meisten als gesichert und unbezweifelbar galt. Ein Klima, das freies Denken erlaubte, war ihm so wichtig wie die Luft zum Atmen. Dieses Klima geriet in Deutschland in den zwanziger Jahren in Gefahr. Freiheit und Toleranz drohten zwischen den extremen politischen Gruppen zerrieben zu werden. Das häßliche Gesicht des Antisemitismus zeigte sich immer öfter. Obwohl Einstein in Berlin und an seinem Institut persönliche Freunde hatte – Max Planck gehörte zu ihnen – entschloss er sich während eines Aufenthalts in Kalifornien, nicht nach Deutschland zurückzukehren und eine Position am Institute for Advanced Studies in Princeton zu übernehmen. Durch Vorträge und Interviews wurde er in den USA schnell berühmt und populär. Er wurde mit seiner weißen Mähne, den lebhaften braunen Augen und seinem unkonventionellen Auftreten zum Idealbild eines Gelehrten.<br /><br />Amerika war auch für viele andere Wissenschaftler zu einer Zuflucht geworden. Zu ihnen gehörte der Ungar Leo Szilard, der in Berlin studiert hatte und bei Max von Laue promoviert worden war. Dort hatte er Einstein kennen gelernt. Er hatte aber auch einen Eindruck von der nationalsozialistischen Bewegung bekommen, die 1933 an die Macht kam. Szilard suchte zunächst Zuflucht in England. Er erzählte später, wie ihm während eines Spaziergangs in London beim Überqueren einer Straße die theoretische Möglichkeit einer Kettenreaktion beim Zerfall eines Atomkerns klar geworden sei. Von England aus beobachtete er, wie Hitler mit der Tschechoslowakei verfuhr. Ohne Rücksicht auf das Münchner Abkommen von 1938, das in England bei Vielen die Hoffnung auf Frieden gestärkt hatte, ließ der deutsche Diktator im März 1939 Truppen einmarschieren und brachte das Land unter seine Herrschaft. Damit war offensichtlich, dass Hitler zu weiteren Kriegen entschlossen war. Szilard zog nun in die USA. Als er Anfang 1939 erfuhr, dass Otto Hahn in Berlin eine Kernspaltung gelungen war, begriff er sofort, dass man nun eine Kettenreaktion auslösen und die dabei frei werdende Energie für den Bau einer Bombe von unerhörter Sprengkraft nutzen konnte. Er befürchtete, Hitler werde sich die Chance, eine neue Waffe dieser Art in die Hand zu bekommen, nicht entgehen lassen. Man musste die USA warnen. Aber wie? Es schien ihm am besten, sich an Präsident Roosevelt selbst zu wenden, damit die Warnung nicht irgendwo in der Bürokratie stecken blieb. Nur einer bekannten und angesehenen Person würde es aber gelingen, an den Präsidenten heranzukommen. Unter denen, die er kannte, hielt Szilard nur Einstein für geeignet. Zusammen mit einem anderen ungarische Emigranten, Edward Teller, der später als „Vater der Wasserstoffbombe“ bekannt wurde, suchte er Albert Einstein in seinem Ferienhaus in Peconic auf Long Island auf. Es gelang, ihn zur Mitwirkung zu bewegen. Später – vor allem nach dem ersten Einsatz der Atombombe - bedauerte Einstein sein direktes Eingreifen in die amerikanische Politik. In seiner Erinnerung beschränkte sich seine Mitwirkung bei dieser Initiative auf die Unterschrift unter einem von Szilard entworfenen Brief. Szilard stellt die Sache etwas anders dar: Einstein habe zunächst einen Text auf deutsch diktiert. Diesen habe Szilard zu zwei Briefentwürfen – natürlich auf englisch – umgearbeitet. Einstein habe sich für den längeren entschieden. Szilard selbst habe noch ein Memorandum mit den wissenschaftlichen Grundlagen hinzugefügt. <br /><br />Wie immer sich das im Einzelnen abgespielt hat: Wichtig ist vor allem der Inhalt des Briefes, den Einstein schließlich am 2. August 1939 unterzeichnete. Dort wird zunächst ausgeführt, dass in einer großen Masse Uran eine Kettenreaktion erzeugt werden könne. Es sei möglich, sie für den Bau von Bomben extremer Sprengkraft nutzbar zu machen. Eine einzige Bombe dieser Art, per Schiff in einen Hafen transportiert und dort zur Explosion gebracht, könne den Hafen und seine Umgebung zerstören. (Dass man eine kleinere Bombe bauen und von einem Flugzeug aus abwerfen könnte, hielten Einstein und Szilard damals anscheinend noch nicht für möglich.) Ein ständiger Kontakt zwischen der amerikanischen Regierung und den Physikern, die in den USA die Kettenreaktion erforschten, sei wünschenswert. Diese könnten, während sie ihre eigenen Forschungsarbeiten vorantrieben, Regierungsstellen über die weitere Entwicklung unterrichten und Vorschläge machen. Als ein Indiz für die deutschen Pläne wurde in dem Brief erwähnt: Ein Sohn des Staatssekretärs im Auswärtigen Amt, Ernst von Weizsäcker, arbeite im Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin an der Uranforschung mit. Einstein und Szilard nahmen offenbar an, Vater und Sohn würden eng zusammenarbeiten, um Deutschland zum Sieg in dem kommenden Krieg zu verhelfen. Sie hatten sich – wie sich später zeigte – in ihrer Einschätzung von Ernst und Carl Friedrich von Weizsäcker geirrt. Ernst von Weizsäcker hatte zwar unter der NS-Regierung hohe Ämter erreicht, aber er versuchte, den Krieg, den er ablehnte, durch geheime Kontakte, vor allem mit der britischen Diplomatie, zu verhindern. Er hielt immer zu den Kreisen des aktiven Widerstands Verbindung. Auf Carl Friedrichs Aktivitäten als Kernphysiker und Mitarbeiter Heisenbergs wird später zurückzukommen sein. <br /><br />Wie sollte man nun mit dem von Einstein unterschriebenen Brief verfahren? Um sicher zu sein, dass er den Präsidenten selbst erreichte, sollte er ihm persönlich übergeben werden. Szilard kannte einen Geschäftsmann, der Zugang zum Präsidenten hatte, Dr. Sachs. Aber Roosevelts Kalender war so voll, dass er Sachs zunächst nicht empfangen konnte. Am 1. September hatte Hitler den Angriff auf Polen begonnen, das kurz vorher mit Großbritannien einen Bündnisvertrag abgeschlossen hatte. Deutsche Truppen überschritten die Grenze, die Hauptstadt Warschau wurde bombardiert. Die USA konnten nicht untätig bleiben: Noch am gleichen Tag rief Präsident Roosevelt dazu auf, die Bombardierung der Zivilbevölkerung einzustellen. Nachdem Großbritannien und Frankreich am 9. September Deutschland den Krieg erklärt hatten, arbeitete Roosevelt mit dem Kongress an einer Änderung des „Neutrality Act“, um den britischen Verbündeten besser unterstützen zu können. Erst am 11. Oktober erhielt Sachs einen Termin beim Präsidenten. Sachs trug den wesentlichen Inhalt des Briefes vor, den er anschließend übergab. Roosevelt verstand sofort, worum es ging: „Was Sie erreichen wollen, ist, dass uns die Nazis nicht in die Luft jagen“, bemerkte er und erteilte seinen Mitarbeitern die Weisung, die Sache aufzugreifen. Ein ad-hoc-Ausschuß wurde eingesetzt. Aber ein greifbares Ergebnis zeigte sich zunächst nicht. Am 7. März schrieb Einstein auf Drängen Szilards einen zweiten Brief. Am 6. Dezember begann schließlich das Manhattan Project seine Arbeit, die zum Bau der ersten Atombombe führte.<br /><br />An diesem Projekt war Einstein nicht direkt beteiligt und es war ihm immer peinlich, wenn man ihn – was gelegentlich geschah – zu den Vätern der Atombombe rechnete. Er hatte immer zum Pazifismus geneigt. Nur die Furcht, Hitler könnte als erster die Verfügung über eine Atombombe erlangen und versuchen, mit ihr eine rassistische Weltherrschaft zu errichten, hatte ihn dazu getrieben, ein amerikanisches Programm zur Entwicklung dieser Waffe anzuregen. Aber als sich zeigte, dass dieses Programm erfolgreich sein würde, fragte er sich, ob die Politiker die Gefährlichkeit dieser Waffe richtig erkannten. Er wandte sich Ende 1944 an Niels Bohr, der inzwischen ebenfalls in die USA gekommen war. Er schrieb ihm, Wissenschaftler sollten die politischen Führer für eine „Internationalisierung der militärischen Macht“ gewinnen. Bohr hatte sich bereits gegenüber Churchill und Roosevelt für diese Idee eingesetzt, aber er hatte die Politiker nicht überzeugen können. Sie konzentrierten alle ihre Energien darauf, den Krieg zu gewinnen – und möglichst bald. Bohrs Vorstoß betrachteten sie als eine Ablenkung von diesem Ziel. Bohr selbst machte sich damit verdächtig. Gerade das wollte er Einstein ersparen. Er suchte ihn in Princeton auf und mahnte ihn zur Vorsicht. Einstein schrieb daraufhin am 25. März 1945 einen sehr behutsamen letzten Brief an Roosevelt. Er wurde nach dessen Tod auf seinem Schreibtisch gefunden. Man gab ihn seinem Nachfolger, Harry Truman, der ihn an seinen Außenminister weiterleitete.<br /><br />Die Idee, jedenfalls die Kernwaffen zu internationalisieren, wurde als amerikanischer Vorschlag durch Trumans Beauftragten Bernard Baruch im Juni 1946 in die VN eingeführt. Inzwischen war aber das Verhältnis zur Sowjetunion, dem früheren Verbündeten, durch gegenseitiges Misstrauen überlagert. Eine Einigung über den Baruch-Plan war nicht zu erreichen.<br /><br />Was war inzwischen in Deutschland geschehen, um die Kernspaltung militärisch zu nutzen? Die Erforschung der Atomkerne, ihrer Spaltung und der unter bestimmten Voraussetzungen sich daraus ergebenden Kettenreaktion wurde, nach dem erfolgreichen Experiment von Otto Hahn, vor allem am Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin unter der Leitung von Werner Heisenberg weitergetrieben. Carl Friedrich von Weizsäcker arbeitete daran mit. Die beiden Forscher wussten, dass eine militärische Nutzung möglich war. Aber sie wünschten sie nicht, denn sie hatten keine Illusionen über den Charakter des Regimes, unter dem sie lebten. Gleichwohl versuchten sie die Forschungsarbeiten in der Hand zu behalten, um zu verhindern, dass willfährigere Wissenschaftler tatsächlich auf den Bau einer Bombe hinarbeiten könnten. Weizsäcker hat diese Haltung später nicht ohne Selbstkritik als „widerstrebenden Konformismus“ bezeichnet. <br /><br />Der Rüstungsminister Speer ließ sich von Heisenberg im Juni 1942 den Stand der Forschungen vortragen. Heisenberg legte dar, dass ein auf militärische Ziele gerichtetes Programm ungeheure Mittel erfordern und Jahre dauern würde. Hinderlich sei vor allem, dass Deutschland nicht über Zyklotrone verfüge und für deren Bau keine Erfahrungen habe. Speer entschied daraufhin, das Forschungsprogramm nur in dem bisherigen Rahmen weiterzuführen. Das bedeutete, dass man über den Bau eines Reaktors zur zivilen Nutzung der Kernenergie nicht hinausgehen konnte. Heisenberg und Weizsäcker waren erleichtert, denn damit blieb ihnen die schwierige Entscheidung erspart, ob sie weiter an dem Programm mitarbeiten sollten. <br /><br />Heisenberg wusste natürlich, dass man besonders in London und Washington mit großer Sorge auf das deutsche Forschungsprogramm blickte. Er wollte – noch vor der Entscheidung Speers – ein Signal der Entwarnung geben. Er nutzte dafür eine Reise nach Kopenhagen und ein Gespräch mit seinem Lehrer und Freund Niels Bohr. Er erreichte aber sein Ziel nicht, sondern verstärkte sogar das Misstrauen, das sich bei Bohr schon geformt hatte. Warum ist dieses Gespräch so völlig missglückt? Heisenberg äußerte sich dazu in einem Artikel, der 1946 in der Zeitschrift „Naturwissenschaften“ erschien, und in einem Brief an Robert Jungk, den dieser in seinem Buch „Heller als tausend Sonnen“ zitiert. Offenbar meinte Heisenberg, selbst mit Bohr nicht ganz offen sprechen zu können. Er befürchtete, seine Äußerungen könnten bekannt werden und zu einer Anklage wegen Verrats führen. Vielleicht hat Heisenberg seine Vorsicht zu weit getrieben. Er selbst fühlte, dass ihn Bohr missverstand, und kehrte deprimiert nach Berlin zurück. Tatsächlich hatte Bohr den Eindruck gewonnen, dass in Deutschland auf eine Atombombe hingearbeitet werde. Als er später nach England und dann in die USA emigrierte, bestärkte er die Behörden in London und Washington in ihrem Bestreben, den Deutschen beim Bau der Atombombe zuvorzukommen. <br /><br />Einstein wandte sich, unter dem Eindruck der Bomben auf Hiroschima und Nagasaki, ab 1945 der Idee zu, nur ein weltweites föderales System mit supranationalen Institutionen könne weitere Kriege verhindern. Dieses Ziel verband ihn weiterhin mit den Pazifisten. Er glaubte aber nicht mehr, dass man es durch einseitigen Gewaltverzicht erreichen könne. Als Physiker hatte er immer versucht, alle Erscheinungen auf möglichst klare und einfache Gesetze zurückzuführen und er blieb bis zum Ende seines Lebens auf der Suche nach einer einheitlichen Feldtheorie. Für das Verhältnis der Staaten zueinander suchte er eine Lösung durch das Recht: Eine weltweite föderale Verfassung, deren oberste Organe Streitigkeiten schlichten sollten. Wie in der Physik ließ er sich durch eingefahrene Denkmuster nicht aufhalten: Wenn die Souveränität der Staaten ein Hindernis für ein wirksames System zur Verhinderung von Kriegen war, so musste man sie überwinden. <br /><br />Seine indirekte Mitwirkung am Bau der Atombombe belastete ihn weiter. Bei einem vom Nobel-Preis-Komitee gegebenen Bankett in Manhattan im Winter 1945 erinnerte er an Alfred Nobels Motiv für die Stiftung des Preises: Sie sei eine Sühne für die Erfindung immer wirksamerer Sprengstoffe. Jetzt seien die Physiker, die an der Schaffung der gefährlichsten Waffe aller Zeiten teilgenommen hätten, durch ein ähnliches Gefühl der Verantwortung, um nicht zu sagen Schuld, belastet. Im Mai 1946 ließ sich Einstein zu Vorsitzenden des „Emergency Committee of Atomic Scientists“ wählen, das sich für nukleare Rüstungskontrolle einsetzte. In einem Telegramm an potentielle Spender schrieb er: „Die entfesselte Kraft des Atoms hat Alles verändert – nur nicht unsere Art zu denken, und so treiben wir auf eine Katastrophe zu, für die es bisher kein Beispiel gibt.“<br /><br />In seinem Todesjahr beschloss der bereits kranke und geschwächte Einstein, gemeinsam mit Bertrand Russell, die Wissenschaftler sollten noch einmal vor den Gefahren eines Nuklearkriegs warnen, die durch die Entwicklung von Wasserstoff-Bomben in den USA und dann auch in der Sowjetunion dramatisch gewachsen waren. In einer Erklärung, die Einstein, Russell und neun weitere prominente Wissenschaftler unterschrieben und die am 9. Juli 1955 in London veröffentlicht wurde, beschrieben sie die Wirkung der neuen Bomben: Sie könnten nicht nur die größten Städte wie New York, London und Moskau auf einen Schlag vernichten. In größerer Zahl eingesetzt, würden sie durch die von ihnen ausgelösten Strahlungen eine riesige Zahl von Menschen schädigen und könnten den Bestand der Menschheit gefährden. Die Unterzeichner unterstützten Vereinbarungen zur Verminderung der Spannungen zwischen Ost und West und ein Verbot der neuen Waffen. Aber eine wirkliche Lösung könne nur durch die Abschaffung des Krieges gefunden werden. Sie schlugen Treffen von Wissenschaftlern zur Einschätzung der Gefahren vor, die sich aus den neuen Waffen ergeben. Daraus entwickelten sich die Pugwash-Konferenzen, die der Physiker Joseph Rotblat organisierte und in denen sich seitdem Wissenschaftler aus Ost und West trafen und berieten.<br /><br />Dem Ziel einer Abschaffung des Krieges ist man seitdem nicht näher gekommen. Aber es ist Einstein und seinen Kollegen gelungen, den Politikern klar zu machen, welche schrecklichen Folgen ein mit Kernwaffen geführter Krieg hätte. Ein solcher Krieg konnte bisher in der Tat vermieden werden. In mehreren Krisen, vor allem in der Kuba-Krise, zeigte sich, dass beide Seiten sich darum bemühten, den drohenden Krieg abzuwenden. Vereinbarungen wurden geschlossen, um die weitere Verbreitung von Kernwaffen zu vermeiden und ihre Zahl zu vermindern. Heute ist das weitere Schicksal dieser Vereinbarungen ungewiss. <br /><br />Ob das Ziel der eingangs erwähnten vier hoch angesehenen Amerikaner, eine völligen Abschaffung der Kernwaffen, erreicht werden kann, kann niemand mit Sicherheit sagen. Aber man kann jetzt Schritte tun, die uns diesem Ziel näher bringen und gleichzeitig die Gefahr von Kriegen vermindern. Dies gehört zu den dringendsten Aufgaben der nächsten Jahre.<br /><br />Einsteins Haltung lehrt uns: Man sollte sich nicht durch eingefahrene Denkmuster daran hindern lassen, das Notwendige und Vernünftige zu tun.Rudolf Schmidthttp://www.blogger.com/profile/13442429784036063654noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-3884971934803382365.post-76326690591513735962009-01-26T09:55:00.003+01:002010-05-30T16:14:21.667+02:00Völkerrecht und Zukunft<strong>Zusammenfassung</strong><br /><br /><span style="font-style: italic;">Die Langfassung dieses Artikels ist unter dem Titel "Völkerrecht und Zukunft" in der Zeitschrift für Politik, Heft 2, 2009 S. 162 erschienen. </span><br /><br />1. Der Planet Erde ist, nach den Erkenntnissen der modernen Naturwissenschaft, ein sich selbst regulierendes System, das die Bedingungen für die Entwicklung des Lebens herausgebildet und bewahrt hat. Auch der Mensch ist von diesen Bedingungen abhängig. Er hat aber mit der Industrialisierung begonnen, das System zu stören und könnte es, wenn er sein Verhalten nicht ändert, zerstören. Daraus ergeben sich ein neues Verständnis des Menschen in seiner Umwelt und ein neuer ethischer Imperativ: Handle so, dass die Bedingungen für menschliches Leben erhalten bleibe. Unter dem Einfluss dieser neuen Ethik, die man mit Hans Jonas als Zukunftsethik bezeichnen könnte, entwickelt sich bereits eine neue Art von Recht, das nicht die Beziehungen zwischen Staaten regelt, sondern die gemeinsame Bewirtschaftung des Planeten zur Bewahrung der Lebensbedingungen.<br /><br />2. Die neue Sicht der Erde zwingt auch zu einem neuen Verständnis der globalen Ordnung: Das System souveräner Staaten und das klassische Völkerrecht reichen nicht aus, um das Erdsystem zu bewahren, das bisher die Lebensbedingungen des Menschen gesichert hat. Auf der Stockholmer Konferenz über die Umwelt des Menschen 1972 wurde erstmals anerkannt, dass die natürlichen Ressourcen der Erde zum Wohl der gegenwärtigen und künftigen Generationen bewahrt werden müssen.<br /><br />3. Die ersten Schritte zur Entwicklung eines neuen Rechts wurden zum Schutz der Atmosphäre unternommen: Wiener Übereinkommen zum Schutz der Ozonschicht (1985) und Protokoll von Montreal (1987); Rahmenübereinkommen über Klimaänderungen (1992) und Protokoll von Kyoto (1997). Aus dem ethischen Imperativ der Erhaltung echten menschlichen Lebens folgt die Pflicht, Regeln für die gemeinsame Bewirtschaftung der Erde zu entwickeln. Daraus ergibt sich eine Einschränkung der staatlichen Souveränität. Die dringendste Aufgabe, vor der die Staatengemeinschaft steht, ist eine neue Vereinbarung zum Schutz des Klimas, die weit über das Protokoll von Kyoto hinausgehen muß, wenn eine weiter Erwärmung der Erde mit ihren gefährlichen Folgen für die Lebensbedingungen des Menschen verhindert werden soll. Wenn dies gelingt, wird es ein großer Schritt in der Entwicklung des neuen Rechts, des Überlebensrechts, sein.<br /><br />4. Weitere Aufgaben für diese neue Art von Recht sind z. B. Regelungen für die gemeinsame Bewirtschaftung des Wassers und für die Entwicklung der Bevölkerung. Auch Regeln zur Verhinderung eines mit Kernwaffen geführten Krieges, der die Lebensbedingungen des Menschen zerstören könnte, gehören dazu.<br /><br />Angesichts dieser neuen Aufgaben steht das Völkerrecht nicht vor seinem Ende, sondern am Beginn einer neuen Epoche.Rudolf Schmidthttp://www.blogger.com/profile/13442429784036063654noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-3884971934803382365.post-91283313676590298302009-01-11T13:00:00.015+01:002009-09-05T21:41:07.283+02:00Überlebensrecht - eine Einführung<span style="font-style: italic;">Eine ausführliche Fassung dieses Artikels ist erschienen in: Scheidewege - Jahresschrift für skeptisches Denken. Nr. 39, Jahrgang 2009/2010.</span><br /><br /><strong>1. Die Verletzlichkeit unseres Lebensraumes</strong><br /><br />Der Lebensraum des Menschen, die Erde, wird heute als ein sich selbst steuerndes System verstanden, das aus vier Komponenten besteht: Festland, Wasser, Atmosphäre und Biomasse (die Gesamtheit aller Lebewesen). Das Erdsystem, das sich im Verlauf der Erdgeschichte entwickelt hat, wird durch ein Zusammenspiel vieler Faktoren, durch die Kreisläufe von Wasser und Kohlenstoff und durch Rückkoppelungsprozesse in einem prekären Gleichgewicht gehalten. Von außen wirkt die Sonnenstrahlung auf das Erdsystem ein, ohne die sich kein Leben hätte entwickeln können. Innerhalb dieses Systems haben sich bisher Änderungen so langsam vollzogen, dass sich die Lebewesen anpassen konnten. Auch die Veränderungen durch das Einwirken des Menschen geschahen bisher allmählich und oft unbemerkt.<br /><br />Erst in den letzten Jahrzehnten des 20. Jh. wurde erkannt, wie intensiv die Einwirkung des Menschen auf das komplexe und empfindliche System geworden ist: das Gleichgewicht wird gestört. Daraus entstehen Gefahren neuer Art. Der Klimawandel ist ein gutes Beispiel dafür. Industrielle Produktions- und Transportverfahren mit hohem Energieverbrauch, entsprechend dem in den wohlhabend gewordenen Ländern entwickelten Lebensstil, aber auch die wachsende Tierhaltung zur Befriedigung der wachsenden Nachfrage nach Fleisch haben den Ausstoß von Treibhausgasen rasch erhöht. CO2 und Methan sind die wichtigsten. Seit dem Jahr 1700 hat der CO2-Gehalt in der Atmosphäre um ein Viertel zugenommen und er nimmt mit wachsender Geschwindigkeit weiter zu. Dies ist die Hauptursache für die ebenfalls beobachtete Erderwärmung. Schwankungen der Erdtemperatur hat es natürlich auch vorher gegeben, aber wir kennen seit einer Million Jahren keinen Temperaturanstieg in dem Tempo, in dem er sich jetzt vollzieht. Wir haben weder genügend Zeit, uns daran anzupassen, noch hat eine wachsende Erdbevölkerung von jetzt schon fast sieben Milliarden Menschen die Möglichkeit, das Problem durch Umsiedlung in Gebiete zu lösen, die näher an den Polen oder in größeren Höhen über dem Meeresspiegel liegen. Vor allem aber ist es schwierig, sich den sekundären Folgen der Erderwärmung zu entziehen. Schon bei einem Anstieg des Meeresspiegels um wenige Meter würden große Gebiete an den Küsten, darunter riesige Städte, unbewohnbar; andere würden einer erhöhten Gefahr häufiger Überschwemmungen ausgesetzt. Als tertiäre Folgen wären riesige Flüchtlingsströme und Konflikte um die knapper werdenden bewohnbaren Gebiete zu erwarten. Bei unbegrenzt weiter wachsendem Anteil der Treibhausgase an der Atmosphäre und fortgesetzter Erwärmung stünden schließlich die Überlebensbedingungen für viele Tierarten und letztlich auch für den Menschen auf dem Spiel.<br /><br />Es bleibt nur ein Ausweg: Die Änderung des menschlichen Verhaltens, die Anpassung an das bestehende Erdsystem, die Wiederherstellung und Bewahrung seines Gleichgewichts. Tim Flannery schrieb in einer Besprechung des Buches „The Superorganism“ von Hölldobler und Wilson: „We have to hope that we will find ourselves living sustainably in a global superorganism whose own self-created intelligence has been bent to the management and the maintenance of its life systems for the greater good of life as a whole.”*<br /><br />Die Haltung des Menschen in seiner Umwelt ist zunächst ein Thema der Ethik. Es ist aber auch eine neue Aufgabe für das internationale Recht: Die Gefahren, um deren Vermeidung es geht, werden in der Regel durch das Verhalten einer nicht genau zu bestimmenden Vielzahl von Menschen verursacht. Wer ist für den Anstieg des CO2 -Anteils in der Atmosphäre mit seinen Folgen für das Klima verantwortlich? Jeder trägt dazu bei, der Energie verbraucht, die zum größten Teil immer noch durch die Verbrennung kohlenstoffhaltiger Stoffe erzeugt wird, jeder, der am motorisierten Verkehr teilnimmt und jeder, der einen großen Anteil seines Nahrungsbedarfs mit Fleisch deckt.<br /><br /><strong>2. Eine neue Art von Recht</strong><br /><br />Nur durch gemeinsame Regeln ist es möglich, die Störung oder Zerstörung des ökologischen Gleichgewichts zu verhindern und damit die Bedingungen zu schützen, die als Voraussetzung für das Überleben auch des Menschen erkannt sind. Die Regelungen sind nur wirksam, wenn sie global gelten und wenn sie rechtlich bindenden Charakter für alle Staaten haben. Schon wenn sich ein großer Staat ihnen nicht unterwirft, ist ihre Wirksamkeit eingeschränkt. Wir stoßen hier auf die von Hardin** beschriebene „Tragedy of the Commons“, die Tragik der Allmende. Hardin zeigt sie am Beispiel eines Sees, der einer größeren Anzahl von Fischern zur Verfügung steht, dass der Fischbestand in kurzer Zeit erschöpft sein wird, weil alle Fischer möglichst viele Fische fangen wollen. Nur wenn die Fischer sich auf eine Beschränkung des Fischfangs einigen, kann der Bestand erhalten werden. Dies ist das langfristige gemeinsame Interesse.<br /><br />Daraus ergibt sich zunächst die Pflicht der Regierungen, an der Ausarbeitung von Regeln mitzuwirken, durch welche die Nutzung globaler öffentlicher Güter – wie der Atmosphäre – so geregelt wird, dass ihr Bestand gesichert ist. Die gemeinsame Verantwortung für den Schutz der Umwelt ist erstmals in der Erklärung der Umweltkonferenz der Vereinten Nationen in Stockholm (1972) anerkannt, später durch die Erklärung von Rio über Umwelt und Entwicklung (1993) und die Millenium-Erklärung der Staats- und Regierungschefs (2000) bekräftigt worden. Aber es wurde bisher nicht eindeutig gesagt, dass die Souveränität der Staaten an dieser gemeinsamen Verantwortung ihre Grenze finden muss. Wenn dies nicht erkannt und anerkannt wird, besteht die Gefahr, dass die lebenswichtigen globalen öffentlichen Güter, wie die Atmosphäre, so lange ausgebeutet werden, bis sie erschöpft oder zerstört sind.<br /><br />Das bisherige Verständnis von der Souveränität eines Staates ging von der Annahme aus, dass Alles, was auf seinem Gebiet geschieht, ausschließlich seiner Herrschaft unterliegt und dass von seinem Territorium aus öffentliche Güter – wie die Atmosphäre – ohne Einschränkungen genutzt werden können. Dies ist eine Fiktion, die mit dem neuen Verständnis der Erde als eines ganzen sich selbst steuernden Systems offenbar nicht vereinbar ist. Die Staaten müssen ihr Verhalten an dieses System anpassen. Die staatliche Souveränität muss gegenüber dem höheren Gut der Erhaltung der Lebensbedingungen für die ganze Menschheit zurücktreten. Daraus folgt, dass sich die Regierungen nicht auf die Souveränität ihrer Staaten berufen dürfen, um sich den Regeln zum Schutz globaler öffentlicher Güter zu entziehen.<br /><br />Hier zeigt sich eine Parallelität zu den Menschenrechten des Einzelnen: Die Autorität der Staaten nach innen findet – wie jetzt allgemein anerkannt wird – ihre Grenze an einem Kernbestand von Menschenrechten. In gleicher Weise müssen Regeln, die das Überleben der Menschheit schützen, die äußere Souveränität der Staaten einschränken. Diese Regeln werden hier als „Überlebensrecht“ bezeichnet. Menschenrechte und Überlebensrecht stehen in engem Zusammenhang: Der Schutz des einzelnen Menschen und die Wahrung der Lebensbedingungen für die Menschheit als ganze sind die beiden höchsten für alle Staaten geltenden Rechtsgüter.<br /><br /><strong>3. Beispiele für das Überlebensrecht</strong><br /><br />Es war die Erdatmosphäre, die als besonders empfindlicher und gefährdeter Teil der globalen Umwelt zuerst durch völkerrechtliche Vereinbarungen geschützt wurde. Das erste war das Übereinkommen vom 13.10.1979 über weiträumige grenzüberschreitende Luftverunreinigungen. In Protokollen von 1988, 1991 und 1994 wurden Maßnahmen gegen Emissionen von Stickoxiden, flüchtige organische Verbindungen und Schwefelverbindungen vereinbart.<br /><br />Mit dem Wiener Übereinkommen zum Schutz der Ozonschicht (22.3.1985) und dem Montrealer Protokoll (16.9.1987) wurden neue Wege beschritten: Es genügte als Anlass zum Handeln, dass menschliche Tätigkeit die Ozonschicht <span style="font-style: italic;">wahrscheinlich</span> verändere und damit die menschliche Gesundheit <span style="font-style: italic;">wahrscheinlich</span> gefährde. Das „Vorsorgeprinzip“ wurde damit zum ersten Mal praktisch angewendet. Man einigte sich auch auf ein konkretes Ergebnis der vereinbarten Maßnahmen: Die Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen, sollen vollständig beseitigt werden. Wiener Übereinkommen und Montrealer Protokoll legen nicht nur ein klares Ziel fest, sondern auch die konkreten Schritte, durch die dieses Ziel erreicht werden soll. Dabei wird die Hauptlast den Industriestaaten auferlegt, während den Entwicklungsländern längere Fristen für die Beseitigung der gefährlichen Stoffe eingeräumt werden.<br />Weitere Schritte wurden mit dem Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen vom 9.5.1992 getan, ausgehend von „der Sorge der Menschheit angesichts der Änderungen des Weltklimas und ihrer nachhaltigen Auswirkungen“.<br /><br />Wichtig ist die Formulierung des Zieles in Art 2 des Rahmenübereinkommens: Die Stabilisierung der Treibhausgase in der Atmosphäre auf einem Niveau, das eine gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems vermeidet. Wo dieses Niveau liegt, wurde in dem Rahmenübereinkommen noch nicht festgelegt. <br /><br />Zunächst ging es darum, den Rahmen mit konkretem Inhalt, also mit Verpflichtungen zu ersten Reduzierungs-Schritten auszufüllen. Das erwies sich als sehr schwierig: Es dauerte fünf Jahre, bis das Protokoll von Kyoto unterschriftsreif war, und noch mehr Jahre, bis es von einer genügenden Anzahl von Staaten ratifiziert wurde, so dass es schließlich 2005 in Kraft treten konnte. Dabei blieb die Reduzierungspflicht auf Industriestaaten beschränkt – und sie ist keineswegs einschneidend. Die Emissionen der sechs wichtigsten Treibhausgase sollen bis 2012 um mindestens 5% unter das Niveau von 1990 gesenkt werden. Wie die Reduzierungspflichten verteilt werden sollten, war die wohl schwierigste und umstrittenste Frage. Einige Grundsätze dafür sind im Art. 3 des Rahmenübereinkommens festgelegt, aber über ihre Anwendung wurde zäh verhandelt. Die damals 15 Mitgliedsstaaten der EU versuchten, ein Beispiel zu geben. Sie übernahmen 8% der Reduzierungen, die USA 7%, Japan 6%, während Russland seine Emissionen nicht vermindern muss, aber auch nicht über das Niveau von 1990 hinaus ansteigen lassen darf. Der damalige amerikanische Vizepräsident Gore hatte das Protokoll unterschrieben. Die neue Administration wie auch die Mehrheit im Kongress lehnten die Ratifizierung des Kyoto-Protokolls entschieden ab. Jedoch hat sich seitdem die Stimmung in den USA unter dem Einfluss von Wissenschaftlern und Nichtregierungsorganisationen gewandelt.<br /><br />Nun kommt es darauf an, das Kyoto-Protokoll nicht nur durchzuführen, sondern auch durch neue Regeln zu ersetzen, die bis 2012 in Kraft treten und zu einer viel schnelleren und tieferen Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen führen müssen.<br /><br /><strong>4. Weitere Felder des Überlebensrechts</strong><br /><br />Solange es noch Nuklearwaffen gibt, deren Zahl jetzt auf 25 000 geschätzt wird, besteht auch die – wenn auch nicht akute - Gefahr ihres Einsatzes, sei es durch menschliches Versagen, sei es durch Terroristen, in deren Hände solche Waffen gelangt sind, sei es bei einem Versagen der Abschreckung. Nuklearwaffen werden, sowohl wegen ihrer Explosivkraft, die in Kilotonnen oder Megatonnen des stärksten konventionellen Sprengstoffs TNT ausgedrückt wird, als auch wegen ihrer Strahlenwirkung, nicht auf militärische Ziele beschränkt werden können, sondern immer auch, wenn nicht überwiegend, zivile Opfer haben. Ob ihr Einsatz trotzdem gerechtfertigt werden kann, ist immer umstritten gewesen. Sie können aber auch – je nach ihrer Zahl und Stärke und dem Ort, an dem sie zur Explosion gebracht werden – die Umwelt stören oder zerstören. So könnten Nuklearwaffen, in der Atmosphäre gezündet, die ohnehin bereits geschädigte Ozonschicht über weite Flächen zerstören, mit den bekannten langfristigen Folgen für die menschliche Gesundheit. Nuklearwaffen, die auf dem Boden explodieren, würden riesige Massen von Erdreich in die Atmosphäre schleudern, wo sie sich verbreiten und die Sonnenstrahlen abhalten würden, so dass die Temperaturen sinken und das Wachstum der Pflanzen angehalten würden. Angesichts solcher Folgen drängt sich die Einsicht auf, dass Nuklearwaffen nur einen Zweck haben können: Die Abschreckung von ihrem Einsatz. Dann aber können und müssen diese Waffen immer weiter vermindert und schließlich ganz abgeschafft werden – durch internationale Vereinbarungen, die nach ihrem Wesen um Überlebensrecht gehören.<br /><br />In der Einleitung war bereits vom Wasserkreislauf die Rede, der ein wesentlicher Teil des Erdsystems und eine Bedingung für das Leben auf der Erde ist. Kein anderer Planet trägt Wasser in solcher Fülle und in allen drei Aggregatzuständen***. Aber nur 0,1% dieser Wassermassen nehmen an dem kurzfristigen Wasserkreislauf teil, den der Mensch nutzen kann. Die Leistungsfähigkeit dieses Kreislaufs stößt nun ebenfalls an Grenzen. Es hat sich gezeigt, dass die Nutzung der anderen Ressourcen der Erde mit einem vervielfachten Wasserverbrauch verbunden ist. So werden für die Gewinnung von 1 kg Trockenmasse Weizen 540l Wasser verbraucht, für Kartoffeln 640l, für Reis 680l, für Fleisch dagegen mehrere Tausend Liter. Gleichzeitig wird das Wasser in diesem kleinen Kreislauf durch Einleitung von Abfällen, durch Rückstände von Salz, Insektenvernichtungsmitteln und von Dünger immer mehr belastet. Es wird geschätzt, dass 1,1 Milliarden Menschen keinen Zugang zu sauberem Wasser haben. Offensichtlich wird man bei der Lösung dieses Problems an mehreren Stellen gleichzeitig ansetzen müssen. Nationale Regelungen reichen nicht, um einen Wasserkreislauf, der den ganzen Globus erfasst, auf wirksame Weise zu schützen.<br /><br />Auch auf diesen Feldern werden global geltende, rechtlich bindende Regelungen geschaffen werden müssen. Mit den Gefahren für die Überlebensbedingungen werden auch Bedeutung und Umfang des Überlebensrechts wachsen. Das Verständnis des Staates als oberste politische Macht muss sich ändern. Sie dürfen sich nicht mehr ausschließlich an ihren nationalen Interessen orientieren. Sie müssen vielmehr ihre neue Verantwortung als Treuhänder für die Erde als ganze und für ihre Erhaltung als Lebensraum des Menschen auf sich nehmen.<br /><br />- - -<br />* In: The Superior Civilization. The New York Review of Books, 26. Februar 2009<br />** In: Science 162 (1968) S. 1243-1248<br />*** Dazu und zum Folgenden s. Wolfram Mauser, Das blaue Gold: Wasser. In: Fischer, Wiegand (Hg.), Die Zukunft der Erde. Frankfurt 2005. S. 219 ff.Rudolf Schmidthttp://www.blogger.com/profile/13442429784036063654noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-3884971934803382365.post-90465060745549185962009-01-03T18:44:00.002+01:002009-01-26T10:00:47.542+01:00Die Erde ist nicht nur Ressource des Menschen<a href="http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Magazine/MagazinEntwicklungspolitik/063/s4-prof-altner-ethik-verantwortung-des-nordens.html">Artikel von Professor Günter Altner im Magazin zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung</a><br /><br /><span style="font-weight:bold;">Themen:</span> Klimawandel, ÜberlebensrechtRudolf Schmidthttp://www.blogger.com/profile/13442429784036063654noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-3884971934803382365.post-89862677618813540662008-12-26T18:47:00.005+01:002009-01-24T11:39:59.068+01:00Kernwaffen und Zukunft<strong>Es gibt immer noch Tausende von Kernwaffen</strong><br /><br />Es gibt jetzt ungefähr 25 000 Kernsprengköpfe auf der Erde, die meisten von ihnen sind im Besitz Russlands und der USA. Um eine Vorstellung von ihrem Gefahrenpotential zu gewinnen, sollte man sich das schlimmste Szenario vorstellen, auch wenn es äußerst unwahrscheinliche ist: Würden alle vorhandenen Kernwaffen eingesetzt, so könnten alle größeren Städte zerstört und den Rest der Erde könnte durch Strahlungen, nuklearen Niederschlag und Klimaveränderungen so geschädigt werden, dass der Fortbestand jeder Zivilisation und sogar das Überleben der menschlichen Species zweifelhaft wäre. Jede einzelne dieser Waffen könnte eine mittelgroße Stadt zerstören und ihr Gebiet für einige Zeit unbewohnbar machen.<br /><br />Und doch ist die Furcht vor diesen Waffen, jedenfalls in Europa, geschwunden. Tatsächlich hat sich die Lage für uns nach dem Ende des Kalten Krieges sehr verbessert. Schon unter Gorbatschow hatte die Sowjetunion aufgehört, eine Bedrohung zu sein. Die mittel- und osteuropäischen Staaten gewannen ihre Freiheit, die DDR konnte sich mit der Bundesrepublik vereinigen. Schließlich zerfiel die Sowjetunion. Ihr Kernland – Russland – erbte zwar ihre Kernwaffen und ihren Großmachstatus, hatte aber viele Jahre mit schweren inneren Problemen zu kämpfen und zeigte lange Zeit keine Neigung, den verlorenen Machtbereich wiederzugewinnen, wenn es auch den Raum der früheren Sowjetunion als Einflußzone behalten will. Die Gefahr, unter der vor allem Deutschland jahrzehntelang gelebt hat, ist fast vergessen Unser Überleben hing davon ab, dass die Abschreckung wirksam war und blieb. Diesem Ziel sollten auch die Mittelstreckenwaffen dienen, die ab 1984 in Deutschland und einigen anderen NATO-Staaten stationiert wurden, bis es 1988 gelang, sich auf die Abschaffung aller amerikanischen und sowjetischen Mittelstreckenwaffen zu einigen.<br /><br />Die mit Kernwaffen verbundenen Gefahren sind nicht verschwunden, sie haben sich nur geändert. Zwar wurde die Zahl der nuklearen Sprengköpfe, verglichen mit dem Höhepunkt des Kalten Krieges, auf etwa ein Drittel vermindert. Aber die Zahl der Staaten, die sie besitzen, hat sich vermehrt und droht weiter zu wachsen. Das bedeutet, dass auch die Zahl der Konflikte gewachsen ist, in denen sie eingesetzt werden könnten. Gleichzeitig hat sich die Gefahr eines irrtümlichen Einsatzes erhöht. Vor allem aber ist die Gefahr gewachsen, dass Kernwaffen in die Hände gewaltbereiter nichtstaatlicher Gruppen fallen könnten. Ihnen gegenüber ist die Abschreckung nicht wirksam. Sie bieten kein Ziel für die Vergeltung. Auch lassen sich Menschen nicht abschrecken, die bereit sind, Terrorakte unter Opferung ihres eigenen Lebens auszuführen. <br /><br />Vier weise und erfahrene Amerikaner haben nun dazu aufgerufen, auf eine Welt ohne Kernwaffen hinzuarbeiten. Im Januar haben vier prominente und kenntnisreiche Deutsche, Helmut Schmidt, Richard von Weizsäcker, Egon Bahr und Hans-Dietrich Genscher diesen Aufruf unterstützt. Am 8. Dezember 2008 wurde in Paris die Initiative „Global Zero“ bekannt gegeben. <br /><br />Die große Idee einer Welt ohne Kernwaffen hat in Deutschland bisher zu wenig Aufmerksamkeit und Unterstützung in der Öffentlichkeit gefunden. Um sie würdigen zu können, müssen wir uns an die bisherige Entwicklung erinnern und den Wendepunkt ins Auge fassen, an dem wir jetzt stehen.<br /><br /><strong>Die gefährlichsten Waffen, die es gibt</strong><br /><br />Kernwaffen sind auch heute, mehr als sechzig Jahre nach ihrem ersten – und bisher einzigen – Einsatz, noch die gefährlichsten Waffen, die es gibt. Die Sprengkraft der Bombe, die über Hiroshima abgeworfen wurde, entsprach der Kraft von 15 000 t konventionellen Sprengstoffs. Wenige Monate vorher, am 14. Februar 1945, waren auf Dresden 1472 t Spreng- und 1202 t Brandbomben abgeworfen worden. Das Zentrum der Stadt war zerstört, 35 000 Menschen waren getötet worden. Für die Zerstörung Hiroshimas aber genügte eine einzige Atombombe, die Zahl der Opfer betrug – wenn man die Menschen einbezieht, die später durch Strahlenkrankheit starben – mindestens 180 000. <br /><br />Eine in den folgenden Jahren entwickelte neue Art von Kernwaffen, die Wasserstoffbomben, besitzt eine Sprengkraft, die tausendfach größer ist. Eine einzige Bombe dieser Art könnte Riesenstädte wie New York, Moskau oder Peking, vernichten. Bei allen Kernwaffen kommt die Strahlenwirkung hinzu: Sie kann Menschen entweder sofort töten oder eine Strahlenkrankheit hervorrufen, die ebenfalls zu einem qualvollen Tod führen kann. Bei noch mehr Menschen ist die Schädigung des Erbgutes zu erwarten. <br /><br />Einige der Gefahren von Nuklearwaffen für die Atmosphäre sind seit langem bekannt, andere werden jetzt erforscht. Würden Kernwaffen in größerer Zahl in Erdnähe eingesetzt, so würde Erdreich in solcher Menge in die Atmosphäre geschleudert, dass die Sonneneinstrahlung auf große Teile der Erdoberfläche monatelang verhindert würde. Dort würden winterliche Temperaturen herrschen, das Pflanzenwachstum würde unterbrochen werden. Würden Kernwaffen dagegen in größerer Höhe gezündet, so könnte die empfindliche Ozonschicht beschädigt werden. Wird sie ganz oder teilweise zerstört, so drohen Gesundheitsschäden durch die ultravioletten Strahlen, die von ihr ausgefiltert werden.<br /><br /><strong>Das Gleichgewicht des Schreckens</strong><br /><br />Es ist bemerkenswert, dass nach Hiroshima und Nagasaki keine Kernwaffen mehr eingesetzt wurden. Der Grund dafür ist die Scheu vor den schrecklichen Wirkungen dieser Waffen und die Furcht, dass sich aus jedem Einsatz ein mit Kernwaffen geführter Krieg entwickeln könnte. Ronald Reagan prägte dafür den Satz: Ein Nuklearkrieg kann nicht gewonnen und darf niemals geführt werden. Von diese4m Grundsatz ging auch die Strategie der Abschreckung aus, die wesentlich dazu beigetragen haben dürfte, Kriege zwischen den beiden Supermächten zu verhindern. Aber sie beruht auf einem Dilemma: Beide Mächte drohen mit einer Vergeltung, die nicht nur zu ihrer eigenen Vernichtung, sondern auch zur Tötung von Unbeteiligten und Umweltschäden führen konnte. Ist dies zu rechtfertigen? Es gibt viele Bedenken dagegen. <br /><br /><strong>Gebremste Verbreitung</strong><br /><br />Die USA, wo die ersten Kernwaffen entwickelt wurden, und die Sowjetunion, die bald folgte, blieben nicht die einzigen Kernwaffenbesitzer. Großbritannien, Frankreich und China kamen dazu. Für die beiden europäischen Staaten war die Erhaltung ihres Status nach dem Verlust der Kolonialreiche das entscheidende Motiv. Für ihre Sicherheit war allerdings die Beistandsverpflichtung der USA nach dem Nordatlantik-Vertrag viel wichtiger. China dagegen wollte sich dem Anspruch der Sowjetunion entziehen, die Führungsmacht des „sozialistischen Lagers“ zu sein und wollte deshalb in der Lage sein, seine Sicherheit selbst zu schützen – auch gegen die Sowjetunion. <br /><br />Viele Staaten, auch unter den Nichtbesitzern, betrachteten eine noch weitere Verbreitung der Kernwaffen als gefährlich. 1967 wurde deshalb der Nichtverbreitungsvertrag geschlossen, der die genannte fünf Staaten als Kernwaffenstaaten anerkannte. Sie verpflichteten sich, in redlicher Absicht Verhandlungen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens und zur nuklearen Abrüstung zu führen. Die friedlich Nutzung der Kernenergie wird auch den Nichtbesitzern nicht verwehrt. Sie haben jedoch Sicherungsmaßnahmen hinzunehmen, die dazu dienen, zivile und militärische Nutzung zu unterscheiden.<br /><br />Mehrere Staaten lehnten den Vertrag ab: Indien war der Hauptkritiker: Dies sei ein ungleicher und ungerechter Vertrag. Wie zu erwarten, schloss sich Pakistan dieser Haltung an. Auch Israel blieb dem Vertrag fern und entwickelte – ohne sich öffentlich dazu zu bekennen – eigene Kernwaffen, die offensichtlich der Abschreckung seiner numerisch überlegenen Nachbarn dienen sollten. Trotzdem griffen Ägypten und Syrien 1973 an. Israel wehrte den Angriff mit ausschließlich konventionellen Kräften ab. Während Indien unter den von der Kongress-Partei geführten Regierungen – abgesehen von einer als friedlich bezeichneten Kernexplosion 1974 – sich nach außen darauf beschränkte, die Kernwaffen-Staaten zur Abrüstung aufzufordern, entschied eine von der hindu-nationalistischen Partei BJP geführte Regierung, öffentlich den Schritt zu eigenen Kernwaffen zu tun: 1998 wurden die Waffen erfolgreich erprobt. Pakistan folgte sofort nach dem schon bekannten Muster. Es hatte schon unter der Leitung von Abdul Qadir Khan die Entwicklung eigener Kernwaffen von langer Hand vorbereitet. Qadir Khan hatte – angeblich ohne Kenntnis seiner Regierung – technisches Wissen und Material an mehrere Länder weitergegeben. Wie viel davon an Organisationen außerhalb der Regierungen gelangt ist, bleibt eine offene Frage. <br /><br />Indien und Pakistan haben seit ihrer Trennung mehrere Kriege gegeneinander geführt. Der Kaschmir-Konflikt bleibt ungelöst. Nach dem Terror-Anschlag in Mumbai hat Indien ziemlich unverhüllt mit militärischen Maßnahmen gegen Pakistan gedroht. Unklar ist, wie im Verhältnis zwischen zwei Staaten, die so eng benachbart sind und über Raketen verfügen, die Abschreckung mit Kernwaffen funktionieren soll. Gibt es nicht die Versuchung, im Fall einer Krise die Kernwaffen als erster einzusetzen, bevor sie der Gegner vernichten kann (use them or lose them)? Für das Krisenmanagement steht sehr wenig Zeit zur Verfügung. Im Falle eines Raketenabschusses aus Versehen oder bei Missdeutung eines Raketen-Abschusses ist eine rechtzeitige Warnung (wie sie im Verhältnis zwischen USA und Sowjetunion praktiziert wurde) kaum möglich. Würde im Falle eines Krieges die Seite, die zu verlieren droht, doch zu Kernwaffen greifen? Auch dies sind offene Fragen.<br /><br />Irak wurde nach dem Krieg von 1991 gezwungen, sein Kernwaffen-Programm einzustellen und sich genauen Inspektionen zu unterwerfen. Die Intervention von 2003 wurde mit dem Verdacht begründet, Irak habe sich trotzdem Kernwaffen verschafft. Dafür wurden aber nach der Intervention keine Anhaltspunkte gefunden. Die Inspektionen waren wirksamer gewesen, als die USA hatten glauben wollen.<br /><br />Iran, das in früheren Jahren ebenfalls an der Entwicklung von Kernwaffen gearbeitet zu haben scheint, steht nun im Verdacht, die Anreicherung von Uran, die es derzeit betreibt, zur Gewinnung von nuklearfähigem Material nutzen zu wollen. Durch Sanktionen soll es gezwungen werden, sich einer strengeren Überwachung zu unterwerfen. Darüber wird verhandelt. Sollte es Iran tatsächlich gelingen, Kernwaffen zu erwerben, so ist zu befürchten, dass andere Staaten der Region – sei es zu ihrer Sicherheit, sei es aus Prestige-Gründen – versuchen würden, den gleichen Weg zu beschreiten. Einige mögen schon begonnen haben, sich darauf vorzubereiten. Die Lage in Nah- und Mittelost, einer von Konflikten durchzogenen Region, könnte dadurch noch instabiler, ja explosiv werden.<br /><br />In Ostasien, wo China lange Zeit die einzige Atommacht war, hat Nordkorea 2003 seinen Austritt aus dem Nichtverbreitungs-Vertag erklärt und 2004 eine Kernexplosion unternommen. Zusagen, die es in Verhandlungen gemacht hatte, wurden oft nicht eingehalten. Würden die Verhandlungen scheitern, so müsste man damit rechnen, dass andere Staaten der Region ebenfalls Kernwaffen erwerben würden. Südkorea, Japan und Taiwan könnten dies theoretisch in wenigen Monaten erreichen. China aber würde sein Möglichstes tun, um dies zu verhindern.<br /><br /><strong>Die Dynamik der technischen Entwicklung</strong><br /><br />Kernwaffen sind, wie wir gesehen haben, zu Instrumenten der Abschreckung geworden. Aber sie könnten auch für andere Zwecke verwendet werden. In den USA wurde überlegt, Kernwaffen zu entwickeln, die unter der Erdoberfläche wirken und z. B. Waffen vernichten oder Höhlen zerstören könnten, in denen Terroristen Zuflucht gesucht habe. Der Kongress hat sich bisher geweigert, Mittel für die Entwicklung solcher Waffen zu bewilligen. <br /><br />Aber seit der Amtszeit von Präsident Reagan werden Jahr für Jahr Milliarden von Dollars für die Entwicklung von Raketenabwehr-Systemen ausgegeben. Reagan hatte ein solches Programm (Strategic Defence Initiative) 1984 in Gang gebracht. Er hatte gehofft, eine zuverlässige Abwehr von Raketen würde es möglich machen, auf die Drohung mit einem Gegenschlag zu verzichten. Damit würden Kernwaffen ihren Sinn verlieren und obsolet werden. Wie immer diese Idee entstanden ist: Viele unabhängige Wissenschaftler hielten sie von Anfang an für eine Illusion. In der Tat ist es bisher nicht gelungen, Systeme zu entwickeln, mit denen man das Territorium eines großen Staates zuverlässig gegen Raketen schützen könnte. Bisher sind nur Systeme mit begrenzter Wirkung geplant. Die wirtschaftlichen Interessen der beteiligten Unternehmen bilden eine starke Triebkraft hinter diesem Projekt. Es zeigt sich aber bereits, dass in einer auf Abschreckung gerichteten Strategie Abwehrwaffen bei der Gegenseite eine Verbesserung und Vermehrung der Angriffswaffen auslösen. Gerade um dieses Dilemma zu vermeiden, hatten USA und Sowjetunion 1972 im ABM-Vertrag eine Beschränkung der Abwehrsysteme vereinbart, den Präsident Bush aber 2002 gekündigt hat.<br /><br />Der wachsende Energiebedarf und die drohende Verknappung von herkömmlichen Energiequellen führen dazu, dass mehr Länder den Bau von Atomkraftwerken erwägen, die außerdem zur Verminderung der CO2-Emissionen beitragen. Aber die Mauer, die zivile und militärische Nutzung voneinander trennt, wird immer dünner. Nur die Technik der Abscheidung des Plutoniums und der Anreicherung des Urans ist noch nicht allgemein verfügbar. Man könnte die militärische Nutzung der Kernenergie auf die Dauer nur dadurch wirksam verhindern, dass man die Herstellung und Verteilung der Kernbrennstoffe internationalisiert. Das würde den Spielraum für die Nicht-Besitzer von Kernwaffen weiter einengen. Es ist sehr fraglich, ob sie dazu bereit wären. Vielen von ihnen scheint schon jetzt die Diskriminierung gegenüber den Kernwaffenstaaten immer weniger als hinnehmbar.<br /><br />Je weiter sich die Kerntechnik ausbreitet, umso größer wird auch das Risiko, dass kleine Mengen von angereichertem Uran oder Plutonium abgezweigt werden und in die Hände von Terroristen geraten. Zur Herstellung einer „schmutzigen Bombe“ braucht man nicht viel davon. Für ihren Einsatz gibt es viele Möglichkeiten. Sie müssen ja nicht genau gezielt werden. Ein Lastwagen oder ein See-Container genügen, um sie an Orte zu bringen, wo sie viele Menschen töten und großen Schaden anrichten können.<br /><br /><strong>Am Wendepunkt</strong><br /><br />Angesichts der neuen Gefahren muss man sich nun zwischen zwei Wegen entscheiden:<br />- Man kann versuchen, an dem gegenwärtigen Regime der Nichtverbreitung festzuhalten und Kernwaffen weiterhin als Instrumente der Abschreckung zu benützen<br />- Oder man kann eine neue Richtung einschlagen mit dem Ziel, alle Kernwaffen abzuschaffen.<br /><br />Die Risiken des ersten Weges, der im wesentlichen eine Fortsetzung des bisherigen Kurses ist, sind schon beschrieben worden. Die Erosion des Nichtverbreitungs-Vertrages hat bereits begonnen. Daraus könnte sich eine Kettenreaktion entwickeln, die in Regionen wie Nah- und Mittelost, Süd- und Ostasien zu gefährlichen Situationen führen könnte. Entwicklung und Aufbau von Systemen zur Abwehr von Raketen mit Kernsprengköpfen erfordern einen ungeheuren Aufwand, ihre Wirkung wird immer unsicher bleiben. Gegen „schmutzige Bomben“ in den Händen von Terroristen werden sie ohnehin wirkungslos sein. <br /><br />Ist die Abschaffung der Nuklearwaffen eine Utopie, ein schöner Traum? <br />Stellen wir uns eine Gruppe vor, die in einem kleinen Boot sitzend durch die starke Strömung auf einen Wasserfall zugetrieben wird. Wird sie darüber diskutieren, wie groß die Gefahr ist, im Wasserfall umzukommen und wie groß die Chance, sich ans Ufer zu retten? Oder wird sie alle Kräfte einsetzen, um zu versuchen, das rettende Ufer zu erreichen? <br /><br />Nun haben sich vier Amerikaner für diesen Weg ausgesprochen, die man kaum als Träumer bezeichnen kann: Henry A. Kissinger, früherer Sicherheitsberater und Außenminister, George P. Shultz, früherer Außenminister, William J. Perry, früherer Verteidigungsminister, Sam Nunn, früherer Senator und Vorsitzender des Unterausschusses für die Streitkräfte. Präsident Obama hat sich ebenfalls dazu bekannt<br /><br />Würde das Ziel der Abschaffung aller Kernwaffen von allen Staaten anerkannt, die sie besitzen, und würden die ersten Schritte getan, die zu diesem Ziel führen, so würde sich die Lage von Grund auf ändern. Das Ende der Privilegierung der Kernwaffenstaaten käme in Sicht. Das Nichtverbreitungs-Regime könnte die Unterstützung zurückgewinnen, die es verloren hat. Strengere Kontrollen würden hinnehmbar, weil sich künftig auch Kernwaffenstaaten solchen Kontrollen zu unterziehen hätten ,um zu verhindern, dass einer von ihnen doch versucht, Kernwaffen zu verbergen oder neue zu bauen. <br /><br />Aber werden sich die Kernwaffenstaaten auf die Abschaffung einigen? Man darf erwarten, dass die USA unter dem Präsidenten Obama vorangehen werden. Können die anderen Kernwaffenstaaten eine solche Initiative ablehnen? Sie würden sich damit gegenüber der Mehrheit der Staaten, die keine Kernwaffen besitzen, bloßstellen und ihrer Verpflichtung aus dem Nichtverbreitungsvertrag nicht gerecht werden. Sie werden freilich versuchen, Bedingungen zu stellen, die ihre Interessen wahren. <br />Die Verhandlungen werden kompliziert werden. Man darf sie nicht den Experten überlassen. Die Parlamente und die Bürgergesellschaft werden sich engagieren müssen. Die ersten Schritte sollten ohne Verzug unternommen werden:<br />- Die USA sollten das umfassende Testverbot ratifizieren, das für die anderen Kernwaffenstaaten schon in Kraft ist. <br />- Alle Kernwaffenstaaten sollten sich verpflichten, ihre Kernwaffen nicht als Erste und nicht gegen solche Staaten einsetzen, die keine Kernwaffen haben. <br />- USA und Russland sollten sich verpflichten, unverzüglich mit Verhandlungen über weitere drastische Reduzierungen ihrer Kernwaffen innerhalb einer bestimmten Frist zu verhandeln. Sie sollten auch verhindern, dass die Entwicklung von Offensiv- und Defensivwaffen zu einer neuen Rüstungsspirale führen. <br />- Alle anderen Kernwaffenstaaten sollten sich verpflichten, die Zahl ihrer Kernwaffen zunächst jedenfalls nicht zu erhöhen.<br /><br />Mit all diesen Schritten wäre keine Verminderung der Sicherheit für die betroffenen Staaten verbunden. Sie würden Zeit schaffen für Überlegungen über weitere Schritte.<br /><br />Was geht das uns an? Deutschland hat doch keine Kernwaffen! <br />Aber auch wir leben unter den Gefahren, die von diesen Waffen ausgehen. Wir gehören zu den Staaten, die durch den Nichtverbreitungs-Vertrag auf Kernwaffen verzichtet haben. Wir haben immer auf Verhandlungen zur Verminderung von Kernwaffen gedrängt, besonders als es um Mittelstreckenwaffen ging, die auch bei uns stationiert werden sollten. Es ist damals gelungen, sich auf ihre Abschaffung zu einigen. Wenn nun die USA, unser wichtigster Verbündeter, ihre Politik auf die Abschaffung aller Kernwaffen ausrichten, sollten wir sie dabei unterstützen und gerade in Europa dafür werben. Dies ist nicht nur eine Sache der Regierungen, sondern auch der Bürgergesellschaft. <br /><br />Wer diese große Idee unterstützen will, kann sich der Initiative <strong>Global Zero </strong>anschließen, in dem er oder sie auf der website <a href="http://www.globalzero.org">www.globalzero.org</a> unterschreibt.Rudolf Schmidthttp://www.blogger.com/profile/13442429784036063654noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-3884971934803382365.post-17525525675301492302008-12-26T18:32:00.007+01:002009-01-25T10:32:53.466+01:00Macht und Verantwortung<strong>1. Einführung</strong><br /><br />In der gegenwärtigen Diskussion über die globale Ordnung wird vor allem über Macht – politische Macht - gesprochen, und zu wenig über die Verantwortung, die Hans Jonas am Herzen lag. Ich werde zunächst die Elemente von Jonas` neuer Ethik darstellen, die für dieses Thema von Bedeutung sind. Die philosophische Begründung muß ich beiseitelassen. In einem zweiten Schritt werde ich versuchen zu zeigen, was Jonas nicht ausgeführt hat und wo seine wenigen Andeutungen über die Anwendung seiner Ethik in der Politik der Ergänzung bedürfen. <br /><br />Dann werde ich mich der Praxis zuwenden und zuerst zwei Probleme umreißen, vor denen sich die bestehende internationale Ordnung bewähren muß: Den Klimawandel und die Gefahr eines Krieges mit Nuklearwaffen. Beides Probleme, die wohl auch Jonas im Auge hatte, wenn er von der Fähigkeit der Menschheit zur Selbstvernichtung sprach. Vor diesem Hintergrund zeichnen sich sowohl die Mängel der bestehenden Ordnung wie auch die Unzulänglichkeit der Diskussion über diese Ordnung ab. <br /><br />Daraus ergibt sich die Frage, wie die bestehende Ordnung weiterentwickelt werden könnte, um der Verantwortung gerecht zu werden, zu der uns Hans Jonas aufruft. Mehr als Fragen und einige Arbeitshypothesen werde ich nicht anbieten können. Ich hoffe sehr, dass uns die anschließende Diskussion etwas weiterbringen kann.<br /><br /><strong>2. Jonas` Ansatz für eine neue Ethik</strong><br /><br />Jonas bezeichnet sein bekanntestes Buch, „Das Prinzip Verantwortung“, als „Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation“. Später, in einem Vortrag vom Oktober 1985 in Bonn, (in erweiterter Form veröffentlicht in: Philosophische Untersuchungen und metaphysische Vermutungen, 1992) sprach er vom Prinzip Verantwortung als Grundlegung einer Zukunftsethik. <br /><br />Ich versuche nun, aus dem Gedankengang, mit dem er die Verantwortung in den Mittelpunkt der von ihm vorgeschlagenen Ethik stellt, das herauszuschälen, worauf ich mich in meinen weiteren Ausführungen stütze. Verkürzungen und Vereinfachungen sind dabei nicht zu vermeiden.<br /><br />Die neue Herausforderung, der sich die Ethik heute gegenüber sieht, ergibt sich aus der Macht, die der Mensch durch moderne Wissenschaft und Technik erworben hat. Bacon hat das Programm formuliert: Das Wissen dient nicht in erster Linie dazu, die Natur zu verstehen, sondern sie dem Menschen dienstbar zu machen. Das ist in einem Maße gelungen, das man nicht erwarten konnte. Gerade im vergangenen Jahrhundert hat sich dieser Prozeß ungeheuer beschleunigt und auf alle Kontinente ausgebreitet.<br /><br />Ebenfalls im 20. Jh. haben wir angefangen, zu verstehen, welche Gefahren sich daraus ergeben: Die Selbstvernichtung der Menschheit durch die Waffentechnik oder durch die Zerstörung der Bedingungen für ihr Überleben. Mit der Beschleunigung des Bevölkerungswachstums verschärfen sich die Gefahren. Die Belastung des Lebensraumes wächst sowohl durch steigende Ansprüche wie auch durch die zunehmende Zahl derer, die diese Ansprüche stellen. Jonas stellt dahin, ob die Natur gleich schutzwürdig ist wie der Mensch. Es kommt ihm vor allem darauf an, dass Menschen überleben, die unserem Menschenbild entsprechen, also selbst Verantwortung tragen können. Damit ist vorausgesetzt, dass sie frei sind, Pflichten übernehmen können und - wenn auch in einem engen Kreis – Macht haben.<br /><br />Die Gefahr der Selbstvernichtung lässt uns die Pflicht erkennen, die Menschheit und ihre Lebensbedingungen zu erhalten. Für Jonas ist das der Punkt, in dem das Sollen im Sein wurzelt, aus diesem ableitbar ist. Weil die Menschheit die Macht über ihre Fortexistenz gewonnen hat, trägt sie dafür auch die Verantwortung. Diese erfasst – im Unterschied zu früher – nicht nur die Familie des Einzelnen, seine Gemeinde, seinen Tätigkeitsbereich. Sie erstreckt sich in die Zukunft, auf künftige Generationen, die zum Opfer der beschriebenen Gefahren werden können. Für die Menschheit bedeutet das: Sie muß Macht über die Macht gewinnen, die ihr durch Wissenschaft und Technik zugewachsen ist. Da diese Macht eine kollektive ist, muß es auch jene sein.<br /><br />Zur Verantwortung gehört, sich ein möglichst umfassendes und präzises Wissen über die Folgen des eigenen Handelns zu verschaffen. Angesichts dessen, was auf dem Spiel steht, ist der schlechten Prognose stets der Vorrang einzuräumen. Die Existenz der Menschheit aufs Spiel zu setzen, ist durch keinen anderen Zweck zu rechtfertigen. <br /><br /><strong>3. Wo hält Jonas inne, was führt er nicht aus?</strong><br /><br />Im Vorwort zum "Prinzip Verantwortung" schreibt Jonas von einem „der gesamten Untersuchung angehängten angewandten Teil, welcher die neue Art von ethischen Fragen an einer Auswahl von jetzt schon konkreten Einzelthemen illustrieren soll“. Er kündigt darüber eine Sonderveröffentlichung „binnen Jahresfrist“ an. Diese Absicht hat er mit Verspätung und – wenn ich recht sehe – nur auf einem Gebiet ausgeführt. Sein Buch “Technik, Medizin und Ethik“ mit dem Untertitel „Zur Praxis des Prinzips Verantwortung“ ist erst 1985 erschienen. Mit den dort zusammengefassten Aufsätzen will Jonas, wie er im Vorwort schreibt, „einen Anfang mit der Kasuistik machen, deren das erst zu erkundende Neuland technologischer Verantwortung noch mehr bedarf, als Moral und Recht im allgemeinen auf schon bekanntem Terrain tun“. Diese Kasuistik erfasst die Freiheit der Forschung und ihre Grenzen, vor allem aber Fragen der medizinischen Ethik. Jonas hat jedoch keine ausgearbeitete Antwort auf die von ihm selbst aufgeworfene Frage gegeben, wie man die Macht, die die Menschheit durch die Technik gewonnen hat (ich würde sie technische Macht nennen ) durch eine andere Macht (kontrollierende Macht) beherrschen könnte. Das ist eine im weitesten Sinn politische Frage. Mit ihr verbunden ist die Frage, wer eigentlich die Verantwortung für die Weiterexistenz der Menschheit und ihrer Lebensbedingungen tragen kann. Wer hat die dafür erforderliche Macht? Wer sollte sie haben? Das führt Jonas nicht aus.<br /><br />Eine Äußerung von Jonas in dem 1990 geführten Gespräch mit Ulrich Beck und Walther Zimmerli deutet darauf hin, dass er sich dieser Lücke wohl bewusst war: Die Frage, vor der er sich am meisten fürchte, sei, was konkret zu tun ist. Ob es Rezepte, ob es ein Heilmittel gebe, ob es einen angebbaren Weg gebe, auf dem die Drohung, die uns ins Auge starrt, vielleicht abzuwenden sei. Das ist eine Frage, die weiterhin vor uns steht.<br /><br /><strong>4. Die Drohung, die uns ins Auge starrt</strong><br /><br />An zwei Beispielen möchte ich einerseits die Gefahren erläutern, die wir heute vielleicht noch deutlicher sehen, als es zu Lebzeiten von Jonas möglich war. Andererseits will ich zeigen, dass sie gleichzeitig Bewährungsproben für die bestehende internationale Ordnung sind. Als Beispiele habe ich den Klimawandel und die Gefahr eines mit Nuklearwaffen geführten Krieges ausgewählt, weil sie offensichtlich staatenübergreifend, global oder, wie Jonas sagt, kollektiv sind. Gerade vor solchen Fragen muß sich die bestehende Ordnung, deren Bausteine souveräne Staaten sind, bewähren.<br /><br /><strong>a) Der Klimawandel</strong><br /><br />Dies ist ein Thema, das nun auch öffentlich viel diskutiert wird. Wer aber annehmen würde, dass es ein Mode-Thema ist, das durch die Diskussion erst geschaffen wurde, befände sich im Irrtum. Auffälligkeiten in unserem Klima wurden schon vor zwanzig Jahren festgestellt. Um ihre Ursachen zu erforschen, wurde 1988 das Zwischenstaatliche Gremium über Klimawandel (IPPC), bestehend aus angesehenen Wissenschaftlern verschiedener Länder eingerichtet. Seine Berichte stellten den jeweils neuesten Stand der Forschung dar und versuchten, daraus Trends für die weitere Entwicklung abzuleiten. Was hatte sich gegenüber früheren Jahren verändert? Der Anteil von CO2 in der Atmosphäre hatte sich seit Beginn des Industriezeitalters um ein Drittel erhöht. Es war bekannt, dass CO2 zu den Treibhausgasen gehörte. Nun beobachtete man in den 90er Jahren eine deutliche Erwärmung des Klimas. Damit drängte sich der Schluß auf, dass die Zunahme des CO2-Gehalts in der Atmosphäre mindestens eine Ursache für die Erwärmung der Erde bildet. Das ist unter den Wissenschaftlern Konsens geworden. Erst 1997 wurde das Kyoto-Protokoll unterzeichnet, das von den Beteiligten als erster Schritt zur Begrenzung des CO2-Ausstosses betrachtet wurde. Die USA, der größte CO2-Produzent, ratifizierten es nicht. Mehr als eine Verlangsamung der Erwärmung ist davon nicht zu erwarten. Soll der Trend angehalten oder umgekehrt werden, so sind viel stärkere Verminderungen des CO2-Ausstosses notwendig.<br /><br />Die Forschungsergebnisse der Klimatologen, Meteorologen und Ökologen erlauben uns nun, die Verletzlichkeit des Klimas der Erde und damit der Bedingungen für unser Überleben gründlicher zu verstehen. Betrachten wir die Bedingungen, unter denen sich höheres Leben entwickeln und behaupten kann, so verstehen wir, dass es sich um einen winzigen Ausschnitt aus den Zuständen handelt, die in unserer Umgebung herrschen: Zwischen der Eiseskälte des Weltraums und der Gluthitze des Erdinneren findet sich das Leben nur in einer zarten Haut, die unseren Planeten bedeckt. Dies ist ein labiler Zustand zwischen zwei stabilen Extremen: Vereisung der Erdoberfläche einerseits, Temperaturen von etwa 400 Grad andererseits. Nur das Leben hat die Entwicklung eines wenn auch labilen Gleichgewichts zwischen den beiden Extremen möglich gemacht. <br /><br />Störungen des Gleichgewichts durch Naturereignisse - wie riesige Vulkanausbrüche oder Meteoriten-Einschläge - können über Jahrzehnte hinweg ausgeglichen werden. Die Störung, die vom Menschen ausgeht, ist nicht eine einmalige, sondern über viele Jahrzehnte sich hinziehende und kumulative. Ihre Wirkungen haben, wie wir heute wissen, die Tendenz, sich selbst zu verstärken: Z. B führt das Abschmelzen der Gletscher, das wir bereits beobachten, dazu, dass mehr Sonnenenergie absorbiert wird, was zu weiterer Erwärmung führt.<br /><br />Der Spielraum für Klimaänderungen, die ohne große Beeinträchtigungen hingenommen werden können, ist auf einer Erde mit sieben Mrd. Menschen nicht mehr groß. Ein Ansteigen des Meeresspiegels um 1 m als Folge der abgeschmolzenen Gletscher würde nicht nur einige kleine Inselstaaten, sondern auch Länder wie Bangladesch gefährden, wo ein Drittel der Bevölkerung in küstennahen Gebieten lebt.<br /><br />Die Lage ist klar: Die Menschheit muß ihr Verhalten – sowohl die Konsumgewohnheiten wie die Art der Energieproduktion – so einrichten, dass es das labile Gleichgewicht des Erdklimas nicht gefährdet. Tut sie das nicht, so wird sie sich selbst in katastrophale Lagen steuern. <br /><br />Ist unser internationales System dieser Herausforderung gewachsen? Auf diese Frage werde ich im nächsten Kapitel zurückkommen. <br /><br /><strong>b) Der Nuklearkrieg</strong><br /><br />Wenn Jonas von der Fähigkeit der Menschheit zur Selbstvernichtung sprach, hatte er, vermute ich, auch den Einsatz von Massenvernichtungswaffen im Auge. Ich kenne allerdings nur eine Stelle, an der er über Atomwaffen spricht. In einem Gespräch, das unter dem Titel „Im Zweifel für die Freiheit?“ 1981 veröffentlicht wurde, erwähnt er die erste Kernspaltung durch Otto Hahn. Man habe die Sache in Hiroshima wirklich in voller Wucht ausprobiert und dann die Folgen gesehen. Er bemerkt dazu, „es wäre sehr viel besser, dass wir diese Erkenntnisse schon gar nicht hätten, wenn sie nur um diesen Preis zu erwerben waren“.<br /><br />Als er sein „Prinzip Verantwortung“ schrieb, hatten die beiden großen Mächte, die einander gegenüberstanden, eine Menge von Nuklearwaffen erzeugt, die um ein Mehrfaches höher war als das, was gebraucht wurde, um den Gegner vollständig zu vernichten. Man nannte das „overkill“. Zweimal war eine Waffe dieser Art bereits eingesetzt worden: Im August 1945 gegen die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki, um Japan zur Kapitulation zu zwingen und so den Krieg abzukürzen. Das Erschrecken über ihre Wirkung – vor allem die zunächst unterschätzte Fernwirkung durch radioaktiven Niederschlag – führte dazu, dass eine Reihe von Wissenschaftlern, die an der Entwicklung der Bombe mitgearbeitet hatten, sich nun von ihrem Werk abwandten und sich dafür einsetzten, auf solche Waffen zu verzichten. <br /><br />Aber auch bei denen, die über den Einsatz solcher Waffen zu entscheiden hatten, jedenfalls bei einigen von ihnen, wuchs die Einsicht: Wer immer den Befehl zum Einsatz gibt, tut den ersten Schritt auf einem abschüssigen Gelände, das ins Dunkle und Unbekannte führt. Das war eine Erfahrung der Kuba-Krise, in der USA und Sowjetunion der Entscheidung zum Einsatz nahe kamen. Der Verlauf der entscheidenden Tage im Weißen Haus ist aus den Aufzeichnungen Beteiligter ziemlich gut bekannt. Diese Erfahrung förderte die Einsicht, dass man auf die Abschreckung allein nicht bauen durfte, dass man vielmehr die Gefahr des Einsatzes auch durch Vereinbarungen vermindern musste, z. B. durch die Einrichtung einer besonderen Nachrichtenverbindung, die im Krisenfall eine rasche Abstimmung erlaubte.<br /><br />In den folgenden Jahrzehnten wurde versucht, sowohl das ständige Anwachsen der Zahl der Nuklearwaffen wie auch ihre Verbreitung auf immer mehr Staaten zu verhindern. Das ist nur sehr unvollkommen gelungen. Zu den Staaten, die durch den Nichtverbreitungsvertrag von 1967 als Nuklearwaffenstaaten anerkannt wurden, sind 1998 Indien und Pakistan als Atomwaffenbesitzer gekommen. Iran und Nordkorea bemühen sich darum. USA und Russland haben 2002 einen Vertrag geschlossen, demzufolge sie bis 2012 die Zahl ihrer Sprengköpfe jeweils auf 1700 bis 2200 vermindern wollen. Die überzähligen Sprengköpfe müssen aber nicht vernichtet, sondern können eingelagert werden. Es ist zweifelhaft, ob die USA und Russland damit erfüllt haben, wozu sie sich im NVV verpflichtet hatten: Über die Beendigung des nuklearen Wettrüstens und die nukleare Abrüstung aufrichtig (in good faith) zu verhandeln. Die anderen NW-Staaten verhandeln darüber überhaupt nicht.<br /><br />Drei Gefahren ergeben sich aus dem jetzigen Zustand:<br />- Nuklearwaffen werden aus Versehen oder aufgrund eines Missverständnisses eingesetzt. <br />- Sie werden zur Abwendung der bevorstehenden Niederlage in einem konventionellen Krieg durch die verlierende Partei eingesetzt. <br />- Sie fallen in die Hände gewaltbereiter Gruppen und werden von ihnen zur Erpressung benützt.<br /><br />Alle diese Gefahren können durch die Verminderung der Zahl der Nuklearwaffen und der Zahl ihrer Besitzer vermindert werden. Völlig zu beseitigen sind sie nur durch die Abschaffung dieser Waffen.<br /><br /><strong>5. Wie gelangt man zu den notwendigen Entscheidungen?</strong><br /><br />Die Entscheidungen, die zur Abwendung der soeben skizzierten Gefahren notwendig sind, müssen das Ganze unseres Planeten erfassen. Wie aber gelangt man zu Entscheidungen von globaler Geltung?<br /><br />Das hängt von der globalen Ordnung ab, von der Art und Weise, in der sie funktioniert und von der Richtung, in der sie sich entwickelt oder in die sie entwickelt werden soll. Darüber gibt es seit Jahren eine lebhafte, auch etwas wirre Diskussion, angeheizt durch den Zusammenbruch der Sowjetunion. Dadurch hatte eine bipolare Struktur ihr überraschendes Ende gefunden, die über Jahrzehnte hinweg die globale Ordnung überlagert hatte. George Bush sen. sprach damals von einer „neuen Weltordnung“. Nicht wenige fühlten sich berufen, diesen Begriff mit Inhalt zu füllen. Aber keinem gelang der große Wurf.<br /><br />Zunächst traten die Bausteine der bestehenden Ordnung wieder deutlicher hervor: In Mittel- und Osteuropa gewannen die meisten Satellitenstaaten ihre Handlungsfähigkeit wieder, während die DDR der Bundesrepublik Deutschland beitrat. Sogar die Ukraine und Weißrußland trennten sich von Russland. Im Kaukasus und in Zentralasien verwandelten sich Sowjetrepubliken in unabhängige Staaten.<br /><br />Für uns erscheint selbstverständlich, dass die gesamte Erdoberfläche, soweit sie aus Festland besteht, - mit Ausnahme der Antarktis – zwischen Staaten aufgeteilt ist, denen die VN-Charta „souveräne Gleichheit“ zuspricht. Bei der Gründung der VN waren es 50, heute sind es 195 Staaten. Die Mehrzahl von ihnen wurde aus den Kolonialreichen der Briten, Franzosen, Spanier und Portugiesen gebildet. Sie erhielten, auf einem meist von den Kolonialherren zugeschnittenen Gebiet, den Status souveräner Staaten, einen Status also, der sich nach dem Westfälischen Frieden in Europa herausgebildet hatte.<br /><br />Die Lage nach dem großen Krieg, der 1648 endete, hatte neue Fragen aufgeworfen. Die Stellung der Kirche und die Gewißheiten der Religon waren durch Reformation und Kirchenspaltung erschüttert worden. Die Fürsten und ihre Gesandten, die in Osnabrück und Münster über eine neue Ordnung für Europa verhandelten, ließen sich von dem leiten, was sie für die spezifischen Interessen ihrer Staaten hielten. Grundsätze, die sie alle binden sollten – das Naturrecht – wurden im 17. Jh. entwickelt: Hobbes, Grotius, Pufendorf und Leibniz leisteten wichtige Beiträge. Sie waren teilweise noch von mittelalterlichem theologischen Denken beeinflusst, griffen aber auch auf die antike Philosophie, besonders auf die Stoa zurück. Das Naturrecht wurde zu einer Wurzel des Völkerrechts. Politische Wirkung gewann das naturrechtliche Denken auch in der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung und in der Französischen Revolution. <br /><br />Später hat sich auch im Völkerrecht der Rechtspositivismus durchgesetzt. Wie diese Entwicklung auch mit dem von Jonas dargestellten und beklagten Vordringen des Dualismus von Geist und Materie und dem daraus folgenden Übergewicht des mechanistischen Denkens zusammenhängt, ist eine interessante Frage, die beiseite bleiben muß. Entscheidend ist: Der Rechtspositivismus erkennt die Natur des Menschen als Vernunft- und Gemeinschaftswesen nicht mehr als Prinzip an, aus dem sich Rechtssätze herleiten lassen. Nur in der Formulierung der Menschenrechte ist der naturrechtliche Ursprung noch sichtbar: So spricht die VN-Charta in ihrer Präambel vom „Glauben an die Grundrechte des Menschen“. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte erkennt in der Präambel die Würde und die gleichen und unveräußerlichen Rechte des Menschen als schon bestehend an. Im übrigen gilt im heutigen Völkerrecht neben bilateralen und multilateralen Verträgen vor allem das Gewohnheitsrecht als Rechtsquelle. Es wird abgeleitet aus dem Handeln der Staaten, soweit es sich auf gemeinsame Rechtsüberzeugung gründet. Gerade auf die mangelnde Präzision dieser Rechtsquelle stützen sich heute die Kritiker, die die Rechtsqualität des Völkerrechts überhaupt bestreiten. <br /><br />In dieser durch den Positivismus geschwächten, mehr vorsichtig bewahrenden als voraus- denkenden Form breitete sich das Völkerrecht, gleichlaufend zur Entkolonialisierung, weltweit aus. Es gibt Völkerrechtler, wie Richard Falk, die von einer „Post-Westphalian Perspective“ und – in Anspielung auf Hugo Grotius – von einem „Grotian moment“ sprechen. Sie meinen damit , daß für eine zusammenwachsende Welt eine neue Art von Recht entwickelt werden müsse. Aber ein neuer Grotius ist bisher nicht aufgetaucht. <br /><br />Was sind nun – neben den bindenden völkerrechtlichen Regeln – die Richtlinien, an denen der politisch Verantwortliche in den internationalen Beziehungen sich orientiert oder sich orientieren sollte?<br /><br />Mit diesem „oder“ ist ein Problem angesprochen, das für die Politikwissenschaft, zu der ich die Lehre von den internationalen Beziehungen rechne, von großer Bedeutung ist. Betrachtet sie sich als Sozialwissenschaft, so beschränkt sie sich auf die Beschreibung und Analyse des tatsächlichen politischen Handelns und die Entwicklung von Modellen, durch welche die Wirklichkeit erfasst wird. Mit dem, was die Politiker tun <em>sollen</em>, hat die Politikwissenschaft dann nichts zu tun. Sie kann den Politikern nur insofern einen Rat geben, als sie Parallelen entweder in der Geschichte oder in anderen Ländern aufzeigen und daraus Schlüsse für bestehende Handlungsoptionen ableiten kann. Tatsächlich ist nur ein Teil der politikwissenschaftlichen Literatur methodisch konsequent. Irgendwo fließt doch Wertung ein, auch wenn sie nicht immer deutlich von der Analyse abgegrenzt wird. <br /><br />Viel wichtiger als diese Methodenfrage ist jedoch die in der Politikwissenschaft von Vielen vertretene Lehre, Politik habe inhaltlich nichts mit Moral zu tun, es handle sich um zwei völlig getrennte Sphären. Machiavelli wird für diese Lehre in Anspruch genommen, auch Hobbes, obwohl dies nicht so eindeutig ist. Ich beschränke mich hier auf eine kurze Darstellung der von Hans Morgenthau entwickelten Lehre des politischen Realismus, die – wenn auch oft in vergröberter Form – großen Einfluß gewonnen hat, auch bei uns, und die für die Diskussion über die globale Ordnung besonders wichtig ist.<br /><br />Hans Morgenthau begann als Völkerrechtler, wandte sich aber – nachdem er in die USA emigriert war – einer neuen Disziplin zu, die „International Relations“ genannt wurde und auf deren Entwicklung er großen Einfluß hatte. Seine Kritik richtete sich gegen einen „Universalismus“, den er nicht nur für utopisch, sondern auch für gefährlich hielt. Er ignoriere den Machttrieb des Menschen als wesentlichen Faktor des Politischen. Er neige zu einer moralischen Herabsetzung des Gegners, ja zu einer Rechtfertigung von Kreuzzügen gegen ihn. Dagegen liefere ein richtiges Verständnis nationaler Interessen eine viel klarere Richtlinie für die Außenpolitk und könne zu einer gewissen internationalen Ordnung und zur Einhaltung nationaler Mindeststandards führen. <br /><br />Morgenthaus Thesen wurden in den USA von konservativen Politikern gern aufgegriffen. Henry Kissinger ist wohl der Bekannteste unter denen, die zu seiner Schule gerechnet werden. Für ein Prinzip Verantwortung bietet diese Lehre offensichtlich keinen Platz.<br /><br />Noch heute stößt man bei der Lektüre politikwissenschaftlicher Bücher, aber auch von Kommentaren und Leitartikeln auf Spuren des Morgenthau`schen Denkens, auch wenn er nicht zitiert wird.. Jede außenpolitische Entscheidung muß für diejenigen, die Morgenthau verinnerlicht haben, aus nationalen Interessen entspringen – während die Politik darüber tatsächlich längst hinausgegangen ist.<br /><br />In der heutigen politischen Praxis der USA bemerken wir eine merkwürdige Mischung von Realismus und Universalismus (im Morgenthauschen Sinn). Dem Realismus entspricht die Betonung amerikanischer Interessen, die Skepsis gegenüber dem Völkerrecht und den VN. Gleichzeitig aber sehen wir die Einteilung der Welt in Gut und Böse, die Rechtfertigung von Interventionen als Kreuzzug für die Demokratie – Tendenzen, die Morgenthau entschieden ablehnte.<br /><br />Es war ein weiterer Emigrant aus Deutschland, John Herz, der bereits in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts versuchte, den Realismus zu überwinden. Ihm verdanken wir eine Annäherung an die globale Verantwortung aus der Perspektive der Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen. In seiner 1984 erschienen Autobiographie „Vom Überleben“ beschreibt er die Entwicklung seines Bildes von der Welt. Auch er sah den Machtkampf als wesentliches Element der internationalen Politik an, führte dies aber nicht auf den Machttrieb des Menschen zurück, sondern viel konkreter auf das Sicherheitsdilemma, das er so beschreibt: Solange sich Menschen in ganz kleinen Gruppen und isoliert von anderen Gruppen zusammenfinden, mag es für sie möglich sein, konfliktlos und friedlich zu existieren. Sobald sie aber mit anderen Gruppen in Konkurrenz geraten, müssen sie befürchten, von den Konkurrenten beeinträchtigt, vertrieben oder gar getötet zu werden. Der Instinkt der Selbsterhaltung treibt die Gruppe dann dazu an, um ihrer eigenen Sicherheit willen ihre Macht zu erweitern. Der Gegner geht zu eigenen Verteidigungsvorbereitungen über und so entsteht der Teufelskreis von Machtkonkurrenz, Rüstungswettlauf und Krieg.<br /><br />Dieses Dilemma kann man in der Staatenpraxis tatsächlich immer wieder beobachten.<br /><br />Herz setzte sich aber auch mit den neuen Gefahren auseinander und kam dabei zu dem Ergebnis, dass die herkömmliche sozialdarwinistische Gruppenethik einer „Minimumethik des Überlebens der Menschheit“ weichen müsse. In seinen Erinnerungen schildert Herz, wie Jonas und er bei einem Symposium in Haifa 1974 die Nähe ihres Denkens erkannten und sich in die Arme fielen.<br /><br />Hier ist nun kurz auf ein Projekt hinzuweisen, das in die gleiche Richtung zielt: Hans Küngs Projekt Weltethos. Es überrascht allerdings, dass Küng seine Forderung nach einem Weltethos nicht auf das philosophisch sorgfältig ausgearbeitete „Prinzip Verantwortung“ gründet. Er erwähnt Jonas zusammen mit Ernst Bloch in einer Weise, die Zweifel weckt, ob er ihn überhaupt verstanden hat. Gleichwohl ist es ihm gelungen, seine Ideen in vielen Konferenzen und Symposien vorzutragen. Er hat wohl dazu beigetragen, die Wahrnehmung der globalen Probleme zu verbreiten. Aber bei der Verständigung über den Inhalt des globalen Ethos sind die Fortschritte nicht sehr eindrucksvoll.<br /><br />Viel wirksamer ist eine andere Gegenposition zur realistischen Schule: Sie wurde von Völkerrechtlern und auch einigen Politikwissenschaftlern formuliert und besteht darin, dass internationale und globale Probleme durch die Weiterentwicklung rechtlicher Regeln und durch verstärkte Zusammenarbeit in internationalen Organisationen gelöst werden sollen. Auf die gewaltsame Durchsetzung eigener Interessen soll verzichtet, die gemeinsamen Interessen sollen durch Verhandlungen geklärt, in Regeln gefasst und diese sollen, wo es notwendig und zweckmäßig ist, von internationalen Organisationen durchgeführt werden. <br /><br />Blicken wir auf die bestehende globale Ordnung, so zeigt sich, dass diese Schule – ich nenne sie mangels eines besseren Begriffs die multilaterale – in der Praxis für ein weite Feld internationaler Zusammenarbeit große Bedeutung erlangt hat. Die Satzung der VN ist von ihr geprägt. Das System internationaler Organisationen ist stärker und dichter geworden, wenn auch seine Leistungen sehr unterschiedlich und nicht immer befriedigend sind. Die Menge völkerrechtlicher Regelungen ist riesig angeschwollen und wächst von Jahr zu Jahr weiter. Mit der Methode internationaler Verhandlungen, völkerrechtlicher Vereinbarungen und der Zusammenarbeit in internationalen Organisationen werden auch die Gefahren für die Umwelt angegangen. Es ist allerdings fraglich, ob mit dieser Methode die notwendigen Entscheidungen rechtzeitig getroffen werden können. Offen bleibt auch die Frage, wie der Widerstand einzelner Staaten gegen globale Regelungen überwunden kann und wie diese Regeln durchgesetzt werden können. <br /><br />Viel geringer sind die Fortschritte bei der Einhegung von Krieg und Gewalt. Die Liste der Kriege und innerstaatlichen mit Gewalt ausgetragenen Konflikte seit dem Ende des 2. Weltkriegs ist lang. Wir beobachten die Wirkung des Sicherheitsdilemmas in vielen unsicheren Regionen. Dazu kommt das Versagen von Staaten bei der Sicherung ihrer inneren Ordnung. Die gefährlichsten Waffen, die Nuklearwaffen, existieren weiter. Zwar hat ihre Zahl, verglichen mit dem Höhepunkt des Kalten Krieges, abgenommen. Aber die Zahl der Staaten, die solche Waffen besitzen, hat zugenommen und droht weiter zu wachsen . <br /><br />Was jetzt entschieden werden kann und muß, ist, in welche Richtung man gehen will: <br /><br />Sollen die nuklear bewaffneten Staaten ihre Arsenale weiter entwickeln? Soll man der Verbreitung dieser Waffen freien Lauf lassen? Soll man sich bemühen, die Wirkung dieser Waffen technisch zu vermindern, um die Hemmschwelle, die ihren Einsatz seit 1945 verhindert hat, niedriger zu machen? <br /><br />Oder soll man sie abschaffen? Das wäre – auch wenn die Staaten sich darauf einigen könnten, ein komplizierter und langwieriger Prozess. Die Vernichtung der Waffen wäre eine technisch schwierige Aufgabe, deren Erfüllung genau überwacht werden müsste. Auch müsste sichergestellt werden, dass keine neuen Waffen dieser Art gebaut werden.<br /><br />Die Grundfrage, die sich aus dem Prinzip Verantwortung ergibt, lautet: Ist eine Strategie zulässig, die im Falle ihres Versagens das Leben vieler Unbeteiligter, ja im Extremfall großer Teile der Menschheit aufs Spiel setzt? Das mag in einer besonderen geschichtlichen Situation zu rechtfertigen sein. Aber kann eine solche Strategie als dauerhafte Grundlage der Sicherheit dienen?<br /><br />Wenn nicht, muß man jetzt beginnen, sie Schritt für Schritt durch eine andere zu ersetzen. Das bedeutet immer stärkere Einschränkung der Fälle, für die ein Einsatz dieser Waffen geplant wird und dementsprechend fortschreitende Verminderung ihrer Zahl auf Grund von Vereinbarungen zwischen allen Nuklearmächten. Dann wird auch der Verzicht von anderen Staaten auf den Erwerb solcher Waffen wieder leichter durchsetzbar. Ob am Ende die völlige Abschaffung dieser Waffen stehen kann, ist jetzt noch nicht vorauszusehen.<br /><br /><strong>6. Ausblick</strong><br /><br />Es hat sich gezeigt: Die Ethik, die Jonas auf die Verantwortung für die Weiterexistenz der Menschheit gegründet hat, hat in der Diskussion über die globale Ordnung bei weitem nicht den Platz gefunden, der ihr zukommt. Dabei ist ein besserer Ansatz für die Zukunftsethik, die wir brauchen, nicht zu sehen. Das Denken muß aber auch bei der Weiterentwicklung der globalen Ordnung dem Handeln vorangehen und ihm den Weg weisen. Hierzu einige Überlegungen, die den Schluß meines Vortrages bilden und Anregungen für das Weiterdenken geben sollen.<br /><br /><strong>Zunächst</strong> sollte die Ethik ihren Platz als Leitlinie für die Politik wiedergewinnen. Dies ist in erster Linie eine Aufgabe der Philosophen. Sie sollten immer wieder daran erinnern, dass es moralfreie Räume im menschliche Handeln nicht geben kann, daß auch der politisch Handelnde an moralische Regeln gebunden ist. Insofern sollte die realistische Schule der Politikwissenschaft philosophisch widerlegt werden<br /><br /><strong>Zweitens:</strong> Wollen wir der Verantwortung für die Weiterwohnlichkeit der Welt (ein Begriff von Hans Jonas) gerecht werden, müssen wir unseren Planeten als eine Einheit sehen, als ein ökologisches System, dessen Empfindlichkeit und Verletzlichkeit wir immer besser verstehen müssen. <br /><br /><strong>Drittens:</strong> Aus der Verbindung des planetarischen Denkens mit der Jonas´schen Ethik ergibt sich: Unsere Verantwortung hat sich ungeheuer erweitert und erstreckt sich heute auf den ganzen Planeten. Das gilt z. B. schon für den Einzelnen als Verbraucher. Die Verantwortung ist aber auch kollektiv, d. h. sie durchdringt das politische Handeln, das vorher nur auf das Wohl des eigenen Staates und seine Behauptung gegenüber anderen Staaten gerichtet war. Wer politische Macht hat ist nun auch dafür verantwortlich, daß der eigene Staat durch sein Verhalten insgesamt nicht die Weiterwohnlichkeit des Planeten gefährdet. Dies kann man nicht den Gesetzen des Marktes überlassen. Weltweites Wirtschaften nach diesen Gesetzen kann zwar die Produktion ausweiten und die Kosten senken. Aber die Aufrechterhaltung des ökologischen Gleichgewichts auf dem Planeten ist Sache politischer Entscheidungen.<br /><br /><strong>Viertens:</strong> Der politisch Handelnde, der zugleich Verantwortung für den eignen Staat und für den Planeten trägt, gerät in Dilemmata. Ein Beispiel: Soll sich Staat A an der Weiterwohnlichkeit des Planeten orientieren, auch wenn er nicht sicher ist, dass die Staaten B, C usw. dies auch tun? Wenn nicht, hat A seine Interessen geopfert, ohne daß das gewünschte Ergebnis, der Schutz der Weiterwohnlichkeit, erreicht wird. Staat A muß sich also um Vereinbarungen mit den anderen Staaten bemühen. Erzwingen kann er sie nicht. <br /><br />Hier sei auch noch einmal an das Sicherheitsdilemma erinnert, das sich aus dem Nebeneinander souveräner Staaten ergibt und das John Herz beschrieben hat.<br /><br /><strong>Fünftens: </strong>Die Souveränität der Staaten wird also eingeschränkt werden müssen. Kann dies durch eine Weiterentwicklung des internationalen Rechts geschehen, durch Rechtsgrundsätze, die unabhängig von der Staatenpraxis und über die getroffenen Vereinbarungen hinaus gelten und den Kern eines wirklich globalen Rechts bilden würden? Könnte die Pflicht eines jeden Staates, sein Verbrauchs- und Produktionsverhalten innerhalb der Grenzen zu halten, die durch das globale ökologische Gleichgewicht gesetzt sind, ein solcher Rechtsgrundsatz sein? Könnte die Entscheidung, wo diese Grenzen liegen, überstaatlichen Instanzen übertragen werden, in deren Verfahren der Sachverstand angesehener und unabhängiger Wissenschaftler großes Gewicht erhalten müsste?<br /><br /><strong>Sechstens:</strong> Ob man die Entscheidungen, die zur Einschränkung staatlicher Souveränität führen, gerade den Institutionen der Staaten überlassen darf, ist zweifelhaft. Die Bürger und ihre Vereinigungen werden dabei eine treibende Rolle spielen müssen. Weil sie in einer Demokratie ihre Tätigkeit frei entfalten können, weil sie im demokratischen Verfahren auf Parlamente und Regierungen Einfluß nehmen können, werden die Impulse für das Umdenken von demokratischen Gesellschaften ausgehen müssen – wie schon bisher. In der Tat steht es den Gesellschaften, in denen der Gedanke des souveränen Staates entwickelt und zuerst verwirklicht wurde, gut an, auch bei der Einschränkung und Überwindung dieses Modells voranzugehen. Gerade in Europa ist dafür ein, freilich regional begrenztes Modell entstanden, das zeigt, dass die historisch gewachsenen Staaten auch mit eingeschränkter Souveränität bestehen können.<br /><br />Die Anregungen, die von Hans Jonas ausgegangen sind, sollten uns den Mut geben, angesichts der neuen Gefahren über das Herkömmliche und Gewohnte hinauszudenken, auch auf dem Gebiet der Politik. Die Beharrungskräfte des geschichtlich Gewachsenen dürfen wir dabei freilich nicht außer Acht lassen.<br /><br /><br />(Dieser Text ist in dem Sammelband „Gott – Welt – Mensch“, Berlin 2008 erschienen.)Rudolf Schmidthttp://www.blogger.com/profile/13442429784036063654noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-3884971934803382365.post-72286033590181203492008-12-19T19:37:00.015+01:002009-01-25T10:40:02.791+01:00Klimaschutz als Gebot der Zukunftsethik<a onblur="try {parent.deselectBloggerImageGracefully();} catch(e) {}" href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiioXSkJ1QpcpJXocv6Ev-kqiEysv57gDY1Arh7Ub7BYqZ79vU0EcjyRhgae7-eTYeyPUOHQHeUmOQmJhLbEQMzDL0V6wGA6c8dZvMyyrLknLByqTpMr0FasKJBOG1K-Z0jff2kvzThvQ/s1600-h/logo+jonas-zentrum.jpg"><img id="BLOGGER_PHOTO_ID_5284144850479841698" style="FLOAT: right; MARGIN: 0pt 0pt 10px 10px; WIDTH: 115px; CURSOR: pointer; HEIGHT: 116px" alt="" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiioXSkJ1QpcpJXocv6Ev-kqiEysv57gDY1Arh7Ub7BYqZ79vU0EcjyRhgae7-eTYeyPUOHQHeUmOQmJhLbEQMzDL0V6wGA6c8dZvMyyrLknLByqTpMr0FasKJBOG1K-Z0jff2kvzThvQ/s320/logo+jonas-zentrum.jpg" border="0" /></a><span style="FONT-WEIGHT: bold;font-family:arial;" >Hans Jonas-Zentrum g.e.V.</span><br /><a style="FONT-FAMILY: arial" href="http://www.hans-jonas-zentrum.de/">http://www.hans-jonas-zentrum.de/</a><br /><br /><strong>I. Zur Lage - Ursachen und Gefahren des Klimawandels</strong><br /><br />Seit 1970 ist die Durchschnittstemperatur der Erde um 0,6°C gestiegen. Zu den letzten neun Jahren gehörten die sieben wärmsten, die seit 1880 gemessen wurden. Seit Beginn der industriellen Revolution ist der Anteil von CO2 – dem wichtigsten Treibhaus Gas – von 227 ppm auf 384 ppm gestiegen. Der Zusammenhang zwischen diesen beiden Erscheinungen ist offensichtlich und wird kaum mehr bestritten. Würde der Ausstoß von CO2 weiter wachsen wie bisher, so würde die Durchschnittstemperatur an der Erdoberfläche nach Schätzung des IPCC noch in diesem Jahrhundert um 1,1 bis 6,4° C ansteigen.<br /><br />Dies hätte für die Menschheit gefährliche Folgen:<br />- Erhöhte Temperaturen gefährden die Gesundheit, wie die Hitzewelle von 2003 in Europa gezeigt hat.<br />- Die Produktion von Getreide würde sich – bei unvermindert raschem Bevölkerungswachstum – vermindern. Wissenschaftler schätzen, dass ein Temperaturanstieg um 1° zu einem Rückgang der Getreideernte um 10% führen würde.<br />- Das Schmelzen der Gletscher, das seit vielen Jahren zu beobachten ist, würde sich noch beschleunigen. Riesige Regionen insbesondere in Asien sind jedoch während der regenfreien Jahreszeit vom Schmelzwasser der Gletscher abhängig. Würden die Gletscher verschwinden, so würde die Wasserversorgung in diesen Regionen, in denen Milliarden von Menschen leben, zusammenbrechen.<br /><br />Das Schmelzen der größten Gletscher in der Arktis, in Grönland und in der Antarktis sowie die Ausdehnung des Meerwassers durch Erwärmung würden zu einem Anstieg des Meeresspiegels um bis zu sieben Meter führen. Dadurch würden dicht besiedelte küstennahe Gebiete vieler Länder und sogar kleine Inseln überschwemmt. Die Gefahren von Sturmfluten und Tsunamis würden weiter zunehmen. Wasserknappheit einerseits, Überschwemmungsgefahr andererseits würden ohnehin schwache Regierungen überfordern. Sie würden vorhandene Konflikte verschärfen und könnten zu neuen Konflikten führen.<br /><br />Die Krise, in der sich die Weltwirtschaft befindet, darf die Sicht auf diese Probleme nicht verstellen. Im Gegenteil: Die Programme zu ihrer Überwindung, die jetzt diskutiert werden, sollten einen Schwerpunkt auf Investitionen legen, die dem Schutz des Klimas dienen, z. B. die Umstellung auf erneuerbare Energiequellen, die Entwicklung Energie sparender Produkte, wie Autos mit erheblich vermindertem CO2-Ausstoß.<br /><br /><strong>II. Umdenken, Umsteuern – zukunftsverantwortlich handeln!</strong><br /><br />Der Mensch hat in den letzten Jahrhunderten sein gewachsenes Wissen und seine technischen Fähigkeiten vor allem benützt, um sich die Natur dienstbar zu machen. Jetzt zeigt sich, dass er bereits begonnen hat, seine eigenen Lebensbedingungen zu schädigen, ja dass er sie zerstören könnte, wenn er mit der Ausbeutung der Erde fortfahren würde wie bisher. Es verbreitet sich die Einsicht, dass der Mensch selbst ein Teil des Erdsystems ist, von dem seine Lebensbedingungen abhängen. Er muss sein Verhalten nun so ändern, dass die bereits angerichteten Schäden repariert und neue Schäden vermieden werden:<br /><br />Das menschliche Verhalten muss sich künftig in dem Rahmen halten, der durch das Erdsystem bestimmt wird. Wir müssen unseren Lebensstil- und die gesellschaftliche Ordnung so verändern, dass sie verträglich werden mit der Permanenz eines menschenwürdigen und verantwortungsfähigen Daseins auf Erden.<br /><br /><strong>III. Ethik der Zukunftsverantwortung</strong><br /><br />Die Übernahme der Verantwortung für die Fortexistenz der Menschheit ist eine unteilbare Verpflichtung, die für jedes vernunft- und handlungsfähige Wesen ausnahmslos verbindlich ist. Sie mündet in den neuen kategorischen Imperativ: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“<br /><br />Dieser Imperativ gründet auf der neuen Erkenntnis, dass der Mensch durch sein Handeln auf die Gesamtheit der Natur, seine Umwelt, einwirkt, ja dass er deren Gleichgewicht und damit die Bedingung für menschliches Leben stört und – wenn er sein Verhalten nicht ändert – zu zerstören droht. Die Erwärmung des Erdklimas als Folge der Emission von Treibhausgasen führt uns diese Gefahr vor Augen. Dem Menschen fällt, wie Hans Jonas dargelegt hat, die Verantwortung zu, die Störung und erst recht die Zerstörung der Bedingungen für das Überleben der Menschheit abzuwenden. Seine Verantwortung erstreckt sich auch auf das Schicksal künftiger Generationen und bildet den Kern einer neuen Zukunftsethik.<br /><br />Um dieser Verantwortung gerecht zu werden, muss er seine Umwelt immer besser verstehen. Jonas nennt dies die neue Rolle des Wissens in der Moral. Die Verantwortung schließt die Pflicht ein, das Wissen immer mehr zu erweitern und zu vertiefen.<br /><br />Wir müssen die drohenden Menschheitsgefährdungen scharf ins Auge fassen, sowohl um uns klarzumachen, was wir unbedingt bewahren und entwickeln sollen, als auch um den Impuls für die einschneidenden Anstrengungen zu gewinnen - für das nötige Umsteuern. Hans Jonas nennt diese moralische Folgenbewertung die „Heuristik der Furcht“.<br /><br />Unsere Fähigkeit zur Prognose wird jedoch immer begrenzt bleiben. In der Regel müssen die Wissenschaftler – wie die Mitglieder des IPCC – mit verschiedenen Szenarien arbeiten. Jonas hat ausgeführt, dass wir – angesichts dessen, was auf dem Spiel steht – unser Handeln an der schlechteren Prognose ausrichten müssen.<br /><br />Wir dürfen nicht auf den Versuch verzichten, die drohenden Gefahren abzuwenden, weil wir den Erfolg als unsicher oder sogar unwahrscheinlich einschätzen. Mit den Worten von Hans Jonas: Fatalismus wäre Todsünde.<br /><br />Die Reaktion auf das Werk von Hans Jonas „Das Prinzip Verantwortung“ hat gezeigt, dass viele seiner Zukunftsethik intuitiv zustimmen. Seine wesentlichen Aussagen können aber auch durch den von Diskursethikern vorgeschlagenen Diskurs vernünftiger Menschen bestätigt werden. Wer könnte vernünftigerweise den Fortbestand der Menschheit als Verpflichtung der jeweils lebenden Generation bestreiten? Der Diskurs muss verbessert werden. Wo es um globale Probleme geht, muss er weltweit geführt werden, nicht nur zwischen Regierungen, sondern auch zwischen gesellschaftlichen Organisationen. Wissenschaftliche Erkenntnisse sind dabei stets einzubeziehen.<br /><br /><strong>IV. Rasches Handeln ist notwendig</strong><br /><br /><strong>1. Felder des Handelns</strong><br /><br />Jeder Einzelne trägt als Verbraucher oder Unternehmer seinen Anteil an der Verantwortung für die Bewahrung der Bedingungen, die den Fortbestand des menschlichen Lebens sichern. Es ist offensichtlich, dass der Lebensstil, der in den Industrieländern entwickelt wurde, auf die Dauer mit der Bewahrung dieser Bedingungen nicht vereinbar ist. Wenn die Schwellenländer, die gleichzeitig die bevölkerungsreichsten sind, diesen Lebensstil übernehmen wollen, so werden die bereits erkannten Gefahren noch rascher ansteigen. Der Energiebedarf würde weiter wachsen. Da er durch erneuerbare Energiequellen auf kurze Sicht nicht gedeckt werden kann, würden noch mehr konventionelle Kraftwerke gebaut werden. Der Ausstoß von CO2 würde nicht sinken, sondern weiter steigen.<br /><br />Jeder Einzelne sollte damit beginnen, seinen Verbrauch von Energie und von mit hohem Energieaufwand hergestellten Gütern einzuschränken. Jeder Unternehmer sollte Produktionsmethoden, die direkt oder indirekt die Atmosphäre belasten, durch weniger belastende ersetzen. Die Bürger der Industrieländer sollten dabei vorangehen.<br /><br />Es wurde behauptet, dass im übrigen die Regeln des Marktes für eine Verminderung des Ausstoßes an Treibhausgasen sorgen würden. Die Erfahrung zeigt das Gegenteil. Der Markt ist zwar unübertrefflich als Instrument zur Steuerung der Produktion durch die Nachfrage. Aber er nimmt keine Rücksicht auf öffentliche Güter, zu denen auch die Atmosphäre gehört, solange ihre Nutzung nicht als Kostenfaktor in die Kalkulation der Unternehmen eingeht. Hardin hat dies als „Tragödie der öffentlichen Güter“ (The Tragedy of the Commons) beschrieben. Die Marktgesetze führen dazu, dass öffentliche Güter ohne Rücksicht auf ihre Bedeutung für die Gemeinschaft und für künftige Generationen bis zur Neige genützt werden, bis sich die Gemeinschaft auf Regeln für eine nachhaltige Nutzung einigt. Es ist i. d. R. eine Minderheit, die ihren Verbrauch freiwillig einschränkt oder auf schädliche Produktionsmethoden verzichtet. Andere nutzen sogar den dadurch entstandenen Spielraum für ihre eigenen Interessen.<br /><br /><strong>2. Ohne global geltende Regeln geht es nicht</strong><br /><br />Die Nutzung der öffentlichen Güter bedarf also der Regelung. Handelt es sich um globale Güter, wie das Klima, so müssen die Regeln globale Geltung haben. Regeln zur Verminderung des Ausstoßes von Treibhausgasen werden die Unternehmen zu einer Anpassung ihrer Produktionsmethoden und zur Entwicklung energiesparender Produkte bewegen. Dabei können Marktmechanismen genutzt werden, z. B. der Emissionshandel. Die Einführung einer weltweit geltenden Kohlenstoffsteuer, durch die der CO2 -Ausstoß zum Kostenfaktor würde, stößt auf so viele Hindernisse, dass sie in absehbarer Zeit kaum zu verwirklichen ist.<br /><br />Heute gibt es aber zwei weitere Gründe für die Notwendigkeit global geltender Regeln zum Schutz des Klimas.<br /><br />Erstens können bei ihrer Ausarbeitung die ständig erweiterten und vertieften Erkenntnisse der Wissenschaft genützt werden. Es waren ja Wissenschaftler, die auf die Schädigung der Ozonschicht in der Atmosphäre und ihre gefährlichen Folgen hingewiesen und dadurch den Anstoß zu einem Verbot der Fluorkohlenwasser- und anderer die Ozonschicht gefährdender Stoffe gegeben haben. Wissenschaftler haben auch den Zusammenhang zwischen dem Ausstoß von Treibhausgasen und der Erderwärmung erforscht und Szenarien für die weitere Entwicklung entworfen, die als Grundlage für eine neue Regelung zum Schutz des Klimas dienen können.<br /><br />Zweitens können die Lasten, die sich aus Maßnahmen zum Klimaschutz ergeben, nur durch globale Regelungen auf eine Weise verteilt werden, die als gerecht empfunden wird und die Einschränkungen akzeptabel macht (s. dazu mehr in Teil V ).<br /><br /><strong>3. Spannungen zwischen der globalen Verantwortung und der Souveränität der Staaten</strong><br /><br />Die bestehende globale Ordnung beruht auf Staaten, die als souverän gelten und in der Regel auf ihrer Souveränität beharren. Nach innen bedeutet dies, dass die Staaten auf ihrem Gebiet die höchste Autorität sind und dass ihnen der Gebrauch von Gewalt vorbehalten ist. Nach außen verleiht die Souveränität Anspruch auf Unabhängigkeit und berechtigt zur Abwehr von Eingriffen von außen. Die Staaten sind nur dem Völkerrecht unterworfen. Nach dem geltenden Völkerrecht entscheiden sie selbst darüber, welche Verträge sie schließen und welchen sie sich anschließen wollen. Sie können – wie es die Mitglieder der EU getan haben – Teile ihrer Souveränität auf gemeinsame Organe übertragen.<br /><br />Offensichtlich steht der Grundsatz der Souveränität in einem Spannungsverhältnis zu der räumlich und zeitlich erweiterten Verantwortung, die in Teil. III dargestellt wurde. Staaten, die diese Verantwortung nicht anerkennen, können sich der Teilnahme an Verhandlungen über Regelungen zum Schutz der Überlebensbedingungen im allgemeinen und des Klimaschutzes im besonderen entziehen und deren Ergebnisse ablehnen, so dass die vereinbarten Regeln für sie nicht gelten.<br /><br />Diese Spannung wird auf längere Sicht überwunden werden müssen. Ansätze dafür gibt es bereits in Erklärungen, die nach internationalen Konferenzen im Konsens angenommen wurden. So heißt es in der Stockholmer Konferenz über die menschliche Umwelt vom Juni 1972:<br />„Die Umwelt des Menschen für die gegenwärtige und künftige Generationen zu verteidigen und zu verbessern ist ein gebieterisches Ziel für die Menschheit geworden...“<br /><br />Prinzip 2 der Erklärung über Umwelt und Entwicklung (Rio 1992) sagt:<br />„Die Staaten haben...das souveräne Recht, ihre eigenen Ressourcen entsprechend ihrer eigenen Umwelt- und Entwicklungspolitik auszubeuten und haben die Verantwortung, dafür Sorge zu tragen, dass Tätigkeiten unter ihrer Hoheitsgewalt oder Kontrolle der Umwelt anderer Staaten oder Gebiete jenseits der Grenzen des Bereichs nationaler Hoheitsbefugnisse keinen Schaden zufügen.“<br /><br />Diese Texte enthalten noch Elemente des alten Denkens. Sie müssen im Licht neuerer Erkenntnisse (s. II.) weiterentwickelt werden. Das Recht zur Ausbeutung von Ressourcen kann nicht gleichrangig neben dem Schutz der Umwelt stehen. Vielmehr hat sich jede wirtschaftliche Aktivität in dem Rahmen zu halten, den das Erdsystem setzt. Auch die nationale Souveränität gibt nicht das Recht, das Erdsystem und insbesondere die Atmosphäre zu schädigen. Daraus folgt die Pflicht, an Regelungen zur Verhinderung solcher Schäden mitzuarbeiten und sie anzuwenden. Wird dies anerkannt, so wird diese Pflicht zu einem allgemeinen Rechtsgrundsatz, der für alle Staaten verbindlich ist. Dies wäre der Kern einer neuen Art von Recht, das man als „globales Überlebensrecht“ bezeichnen könnte.<br /><br />Den Diskurs über diese Fragen sollten Wissenschaftler und Nichtregierungsorganisationen vorantreiben. Je mehr Unterstützung sie weltweit gewinnen, umso eher werden die Regierungen bereit sein, in den Verhandlungen im Geist der globalen Verantwortung Kompromisse zu schließen, auch sich die Vertreter von spezifischen Interessen dem widersetzen.<br /><br /><strong>V. Empfehlungen für das weitere Vorgehen</strong><br /><br />Die Zeit ist knapp. Sie ist bisher nicht gut genützt worden. Die Verhandlungen über das Kyoto-Protokoll haben fünf Jahre gedauert. Erst nach weiteren sieben Jahren ist es in Kraft getreten. Wichtige Staaten haben es nicht ratifiziert Die vereinbarte Reduzierung der Emissionen von CO2 sind nur ein allzu zaghafter Anfang. Dabei sind sich die Wissenschaftler einig: Je früher der Ausstoß von Treibhausgasen einschneidend vermindert wird, umso besser ist die Chance, die Erderwärmung bremsen und auf ein hinnehmbares Maß beschränken zu können. Der Zeitraum, der für die laufenden Verhandlungen über eine neue Regelung, angesetzt wurde ist eng und wird nicht weiter verkürzt werden können. Das neue Protokoll muß spätestens 2012 in Kraft treten. Die Zahl der Ratifizierungen, die dafür notwendig sind, sollte so niedrig wie möglich angesetzt werden. Auch sollten sich alle Staaten durch einseitige Erklärungen verpflichten, sich an die neue Regelung zu halten, auch wenn sie die Ratifizierung nicht rechtzeitig vollziehen können.<br /><br />Die Verteilung der Lasten, die sich aus der neuen Regelung ergeben, wird wieder ein besonders schwieriger Teil der Verhandlungen werden. Das Verursachungs-Prinzip ist bereits im Protokoll von Montreal wie auch im Kyoto-Protokoll implizit anerkannt worden. Es wird auch Grundlage für die neue Regelung sein müssen. Jetzt müssen aber auch die Schwellenländer einbezogen werden. Während die Industrieländer bei der Reduzierung des Treibhausgas-Ausstoßes vorangehen müssen, sollten auch die Schwellenländer Obergrenzen akzeptieren. Das Recht auf Entwicklung kann nicht das Recht umfassen, die Fehler der Industrieländer nachzuahmen, die jetzt als solche erkannt sind. Auf längere Sicht muß sich der zulässige Treibhausgas-Ausstoß an der Bevölkerungszahl der Staaten orientieren. Ein Ausstoß von 2 t pro Kopf und Jahr würde – ein nur noch geringes Bevölkerungswachstum unterstellt- die Erderwärmung voraussichtlich in hinnehmbaren Grenzen halten. Dies ist der gerechteste Verteilungsmodus, dem man sich so rasch wie möglich annähern sollte.<br /><br />Die Teilnehmer an den Verhandlungen sollten sich auf einige Grundsätze für die künftige Energie-Produktion einigen:<br />- Die Verminderung des Energie-Verbrauchs hat Vorrang vor der Erschließung weiterer<br />Energie-Quellen, die z. T. mit neuen Gefahren und Nachteilen verbunden sind.<br />- Das Potenzial der erneuerbaren Energiequellen, das praktisch unerschöpflich, ist sowie der Kraft-Wärme-Kopplung sollte, sollte mit Vorrang genutzt werden<br />- Die Staaten sollten sich verpflichten zu verhindern, dass die Produktion von Bio-Energie durch Abholzung von Wäldern zur Gewinnung neuer Anbauflächen erhöht wird. Die bereits vorhandenen Regeln zum Schutz der Wälder, insbesondere des Tropenwaldes, können dafür genützt werden. Dies wäre gleichzeitig ein wichtiger Beitrag zur Erhaltung der Artenvielfalt.<br />- Es muß verhindert werden, dass die Produktion von Bio-Energie die Nahrungsmittelproduktion verdrängt. Diese Gefahr wird umso größer, je höher der Preis von Rohöl steigt.<br /><br />Die auf Kernspaltung beruhende Erzeugung von Energie eignet sich nicht als Ersatz für die Energiegewinnung aus Kohlenwasserstoffen. Es ist mit der Zukunftsverantwortung nicht vereinbar, die von der Energiegewinnung aus der Kernspaltung auf unabsehbare Zeit ausgehenden Gefahren – Unfälle, Lagerung von Atommüll - in Kauf zu nehmen. Nur wenn die Umstellung auf klimafreundliche Energieformen energisch betrieben wird, ist die Nutzung von bestehenden Atomkraftwerken mit höchstem Sicherheitsstandard für eine Übergangszeit hinnehmbar.<br /><br />Durch institutionelle Verbesserungen sollte der Klimaschutz wirksamer gemacht werden. Im Rahmen des VN-Systems könnte das Umweltprogramm (UNEP) gestärkt und zu einer Unterorganisation der VN ausgebaut werden. Diese Organisation sollte ermächtigt werden, selbständig Vorschriften zur Durchführung globaler Regeln, insbesondere über den Klimaschutz, zu erlassen. Eine Alternative könnte die Schaffung einer globalen Organisation sein, welche die gemeinsame Nutzung der Erdatmosphäre regeln würde.<br /><br />Auch Entwicklungsländer haben in Art. 4 Abs. 1 des Rahmenübereinkommens über Klimaänderung die Pflicht übernommen, Maßnahmen zur Bekämpfung anthropogener Emissionen von Treibhausgasen zu treffen. Dazu gehört die Erhaltung von Kohlenstoffsenken, insbesondere der Wälder. Das Übereinkommen verpflichtet die Staaten, dabei zusammenzuarbeiten. Die Industrieländer haben, die Pflicht, die Entwicklungsländer dabei zu unterstützen, wenn diese aus eigener Kraft dazu nicht in der Lage sind. Diese Pflicht sollte konkreter gefasst werden, als bisher im Kyoto-Protokoll geschehen.<br /><br />Das Gleiche gilt für Maßnahmen zur Anpassung an Wirkungen der Klimaänderung, insbesondere den Schutz gegen einen zu erwartenden Anstieg des Meeresspiegels. Je später und langsamer der Ausstoß von Treibhausgasen reduziert wird, desto höher wird der Anstieg des Meeresspiegels sein. Die Länder, die vor allem für den Treibhausgas-Anstieg verantwortlich sind, sollten auch die Folgelasten mittragen. Daraus würde sich ein weiterer Anreiz zur Verminderung der Treibhausgase ergeben.<br /><br />Die Verschlechterung der Bedingungen für die Landwirtschaft durch ansteigende Temperaturen und Verknappung des Wassers könnte in einigen Regionen zu einer Verschärfung bestehender Konflikte und zur Entstehung neuer Konflikte führen. Um ihnen entgegenzuwirken, sollten frühzeitige Konsultationen zwischen den Staaten dieser Regionen ermutigt werden. Sie könnten dadurch unterstützt werden, dass die Entsendung von Wissenschaftlern angeboten wird, um den Teilnehmern Informationen über voraussichtliche Entwicklungen zu vermitteln und sie bei Gegenmaßnahmen zu beraten.<br /><br />All dies sind schwierige und umfangreiche Aufgaben. Aber sie können gelöst werden, wenn die gemeinsame Verantwortung für die Zukunft der Menschheit anerkannt und im Einklang mit ihr gehandelt wird.Rudolf Schmidthttp://www.blogger.com/profile/13442429784036063654noreply@blogger.com0